Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschlussfrist. Sozialplanabfindung. Treu und Glauben. Verspätung. Verfall zusätzlicher Sozialplanabfindung aufgrund tariflicher Ausschlussfrist bei verspäteter Darlegung neuer Angriffsmittel in der Berufungsinstanz
Leitsatz (redaktionell)
1. Knüpft die tarifvertragliche Ausschlussfrist für Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nicht an die Beendigung des Arbeitsverhältnisses sondern an die Entstehung des Anspruchs an, erfasst sie auch Ansprüche, die erst nach Auflösung des Arbeitverhältnisses entstehen oder beziffert werden können.
2. Ist ein Anspruch auf zusätzliche Abfindung in Höhe von 50% (Aufstockung auf 100%) mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der neuen Arbeitgeberin am 30.04.2010 entstanden, ist er gemäß § 22 des Manteltarifvertrags der Getränkeindustrie (außer Brauereien) in Rheinland-Pfalz und dem Saarland sowie Sektkellereien in Hessen vom 01.08.2006 fristwahrend bis spätestens zum 31.07.2010 geltend zu machen.
3. Gemäß § 67 Abs. 4 ArbGG sind neue Angriffsmittel vom Berufungskläger in dessen Berufungsbegründung vorzubringen; werden sie später vorgebracht, sind sie nur zuzulassen, wenn sie nach der Berufungsbegründung entstanden sind oder das verspätete Vorbringen nach der freien Überzeugung des Landesarbeitsgerichts die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder nicht auf Verschulden der Partei beruht.
Normenkette
ArbGG § 67 Abs. 4; BGB § 242; TVG § 4 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1; BetrVG § 112 Abs. 1; MTV Getränkeindustrie RP § 22
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 14.12.2011; Aktenzeichen 1 Ca 633/11) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 14.12.2011, Az.: 1 Ca 633/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Anspruch des Klägers auf eine zusätzliche Sozialplanabfindung in Höhe von 50% wegen Nichtwahrung einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen ist.
Der 1953 geborene Kläger war über 25 Jahre bei der Fa. Z. Spirituosen & Wein GmbH (kurz X.) mit Sitz in Y-Stadt als Betriebselektriker beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag der Getränkeindustrie - außer Brauereien - in Rheinland-Pfalz und dem Saarland sowie Sektkellereien in Hessen vom 01.08.2006 Anwendung. Der MTV enthält folgende Ausschlussfrist:
"§ 22
Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gelten als verwirkt, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Entstehen geltend gemacht werden."
Das Arbeitsverhältnis endete durch eine betriebsbedingte Kündigung vom 24.07.2007 zum 31.03.2008. Im Kündigungsschreiben heißt es u.a.:
"Sehr geehrter Herr A.,
der Verkauf der Z. Spirituosen & Wein GmbH an die W. Sektkellereien GmbH hat zur Folge, dass der Betrieb der Z. Spirituosen & Wein GmbH in Y-Stadt zum 31.12.2007 geschlossen wird. Wir sind daher leider gezwungen, das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum 31.03.2008 zu kündigen. Ihre Interessen werden durch den Sozialplan vom 20.06.2007 berücksichtigt. ..."
Im Sozialplan vom 20.06.2007 ist - auszugsweise - folgendes geregelt:
"§ 2
Abfindung
...
2.1 Abfindungsbeträge
Anspruchsberechtigte Mitarbeiter erhalten eine Abfindung, deren Höhe sich nach den nachfolgenden Regelungen bemisst:
Mitarbeiter ohne Arbeitsvertragsangebot
Anspruchsberechtigte Mitarbeiter, die kein Arbeitsvertragsangebot der... erhalten, erhalten eine Abfindung in Höhe von 100% des sich nach Anlage 1 bemessenen Betrages.
Abfindung von Mitarbeitern mit Arbeitsvertragsangebot
Anspruchsberechtigte Mitarbeiter, die ein Arbeitsvertragsangebot nach Ziffer 2.1 des Interessenausgleichs vom 20.06.2007 der U. GmbH, der T. & Co. in S.-Stadt bzw. der Z.-R. Q. GmbH erhalten und dies annehmen, erhalten eine Abfindung in Höhe von 50% des sich nach Anlage 1 bemessenen Betrages. ... Werden Mitarbeiter, die ein solches Arbeitsvertragsangebot annehmen, bis zum 30.06.2010 aus betriebsbedingten Gründen von diesen neuen Arbeitgebern gekündigt, so erhalten sie eine zusätzliche Abfindung in Höhe von 50% des sich nach Anlage 1 bemessenden Betrages (Aufstockung der Abfindung auf 100%)."
Der Kläger nahm ein Weiterbeschäftigungsangebot der Fa. T. & Co. Immobilien Management GmbH an. Daraufhin zahlte ihm die Fa. X. GmbH mit der letzten Entgeltabrechnung für März 2008 eine Abfindung in Höhe von EUR 30.349,00 brutto (50%).
Die Fa. X. GmbH wurde in die jetzige Beklagte umfirmiert. Die Änderung der Firma ist am 13.03.2008 in das Handelsregister (AG S.-Stadt HRB XXX) eingetragen worden. Am 26.05.2008 wurde der Sitz nach P.-Stadt (jetzt AG N.-Stadt HRB XXX) verlegt. Die Beklagte gehört zum Konzern der W. Sektkellereien GmbH (kurz M.).
Die Fa. T. & Co. Immobilien Management GmbH kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 24.03.2010 aus betriebsbedingten Gründen zum 30.04.2010. Im Kündigungsschutzverfahren (Az.: 10 Ca 708/10) einigten sich die dortigen Parteien in der Güteverhandlung vom 26.04.2010 (Bl. 21 ff. d.A.) vor dem Arbeitsgericht Mainz auf eine Beendigu...