Entscheidungsstichwort (Thema)

Ausschlussfrist, Sozialplanabfindung, Treu und Glauben. Treuwidrige Geltendmachung tariflicher Ausschlussfrist bei fristgemäßer Zustellung eines Mahnbescheids an falsche Schuldnerin

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Auch wenn die Geltendmachung einer Forderung gegenüber der "falschen" Schuldnerin den Ablauf einer tariflichen Ausschlussfrist gegenüber der "richtigen" Schuldnerin grundsätzlich nicht unterbrechen kann, kann es der "richtigen" Schuldnerin unter besonderen Umständen verwehrt sein, sich auf die Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist zu berufen, wenn dies dem Grundsatz von Treu und Glauben im Rechtsverkehr (§ 242 BGB) widerspricht.

2. Sinn und Zweck tariflicher Ausschlussfristen ist es, in kurzer übersehbarer Zeit Klarheit über das Bestehen von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis zu schaffen; insbesondere im Fall noch ausstehender nicht erkennbarer Lohn- oder Gehaltsansprüche soll die Arbeitgeberin in der tariflich bestimmten Frist erfahren, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer noch Forderungen erhebt.

3. Bleibt es für die Arbeitgeberin nach den Regelungen des Sozialplans vom 20.06.2007 bis zum Stichtag 30.06.2010 völlig offen, ob gekündigte Beschäftigte, die ein Arbeitsvertragsangebot der benannten Firmen erhalten und angenommen haben, den neuen Arbeitsplatz aus betriebsbedingten Gründen verlieren und deshalb eine zusätzliche Abfindung in Höhe von 50 % beanspruchen können, muss die Arbeitgeberin folglich bis zum 30.09.2010 damit rechnen, dass sich erneut gekündigte ehemalige Beschäftigte melden und eine zusätzliche Abfindung beanspruchen; beantragt der Arbeitnehmer nach betriebsbedingter Beendigung des neuen Arbeitsverhältnisses mit der Fa. S. & Co. P. N. GmbH zum 30.04.2010 bereits am 09.05.2010 einen Mahnbescheid gegen die Fa. U. GmbH, der alsbald zugestellt worden ist, macht er seinen Anspruch in ausreichender Weise geltend, wenn die Zweigniederlassung der Fa. U. GmbH in K.-Stadt für ihn und andere ehemalige Beschäftigte der Fa. Z.Y.X. GmbH aus W.-Stadt "Anlaufstation" gewesen ist und er im April oder Mai 2010 bei der Fa. U. GmbH in K.-Stadt persönlich vorstellig geworden ist, um die Erteilung einer Arbeitsbescheinigung zu beantragen und dieser Antrag dort für die Arbeitgeberin entgegen genommen und auch bearbeitet worden ist.

 

Normenkette

BGB § 242; TVG § 4 Abs. 1; BGB § 611 Abs. 1; BetrVG § 112 Abs. 1

 

Verfahrensgang

ArbG Mainz (Entscheidung vom 14.12.2011; Aktenzeichen 1 Ca 612/11)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 14.12.2011, Az.: 1 Ca 612/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Anspruch des Klägers auf eine zusätzliche Sozialplanabfindung in Höhe von 50 % wegen Nichtwahrung einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen ist.

Der Kläger war über 30 Jahre bei der Fa. Z. Y. X. GmbH (kurz Z.Y.X.) mit Sitz in W.-Stadt als Betriebsschlosser beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der Manteltarifvertrag der Getränkeindustrie - außer Brauereien - in Rheinland-Pfalz und dem Saarland sowie Sektkellereien in Hessen vom 01.08.2006 Anwendung. Der MTV enthält folgende Ausschlussfrist:

"§ 22Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis gelten als verwirkt, wenn sie nicht innerhalb von drei Monaten nach Entstehen geltend gemacht werden."

Das Arbeitsverhältnis endete durch eine betriebsbedingte Kündigung vom 24.07.2007 zum 31.03.2008. Im Kündigungsschreiben heißt es u.a.:

"Sehr geehrter Herr C.,

der Verkauf der Z. Y. X. GmbH an die U. Sektkellereien GmbH hat zur Folge, dass der Betrieb der Z. Y. X. GmbH in W.-Stadt zum 31.12.2007 geschlossen wird. Wir sind daher leider gezwungen, das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis betriebsbedingt zum 31.03.2008 zu kündigen. Ihre Interessen werden durch den Sozialplan vom 20.06.2007 berücksichtigt. ..."

Im Sozialplan vom 20.06.2007 ist - auszugsweise - folgendes geregelt:

"§2

Abfindung

...

2.1 Abfindungsbeträge

Anspruchsberechtigte Mitarbeiter erhalten eine Abfindung, deren Höhe sich nach den nachfolgenden Regelungen bemisst:

Mitarbeiter ohne Arbeitsvertragsangebot

Anspruchsberechtigte Mitarbeiter, die kein Arbeitsvertragsangebot der ... erhalten, erhalten eine Abfindung in Höhe von 100 % des sich nach Anlage 1 bemessenen Betrages.

Abfindung von Mitarbeitern mit Arbeitsvertragsangebot

Anspruchsberechtigte Mitarbeiter, die ein Arbeitsvertragsangebot nach Ziffer 2.1 des Interessenausgleichs vom 20.06.2007 der T. GmbH, der S. & Co. in R.-Stadt bzw. der Q. GmbH erhalten und dies annehmen, erhalten eine Abfindung in Höhe von 50 % des sich nach Anlage 1 bemessenen Betrages. ... Werden Mitarbeiter, die ein solches Arbeitsvertragsangebot annehmen, bis zum 30.06.2010 aus betriebsbedingten Gründen von diesen neuen Arbeitgebern gekündigt, so erhalten sie eine zusätzliche Abfindung in Höhe von 50 % des sich nach Anlage 1 bemessenden Betrages (Aufstockung der Abfindung auf 100 %)."

Der Kläger nahm ein Weiterbeschäftigungsangebot der Fa. S. & Co. P...

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