Entscheidungsstichwort (Thema)
Streikmaßnahmen. Tarifeinheit. Tarifpluralität. Untersagung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Kollisionsregelungen des BAG zur Lösung der Tarifpluralität enthalten keine Aussage darüber, ob Streiks zur Erzwingung von Tarifverträgen zulässig sind. Würde im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Streiks auf diese Kollisionsregeln abgestellt, würde eine nicht zu rechtfertigende Vorverlagerung der Prüfung des Tarifvorrangs stattfinden. Bereits die Möglichkeit, dass der bei Anwendung des Grundsatzes der Tarifeinheit zunächst verdrängte Tarifvertrag wieder zur Geltung kommen kann, wenn der zunächst vorrangige Tarifvertrag später wegfällt, zeigt, dass die Verhinderung eines Tarifabschlusses durch eine gerichtliche Untersagung von Streikmaßnahmen, also die Verhinderung seiner Existenz, einen Eingriff in die Tarifautonomie darstellt.
2. Die Kammer stützt sich hierbei insbesondere auf das Urteil des BAG vom 14.12.2004 – 1 ABR 51/03 –, wonach der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz der Tarifeinheit dem Nebeneinander mehrerer konkurrierender Gewerkschaften nicht entgegen steht, dieser vielmehr Tarifpluralität, also den Abschluss mehrerer Tarifverträge über denselben Regelungsgegenstand voraussetzt. Dementsprechend soll es einer Koalition unbenommen sein, sich um den Abschluss eines spezielleren, einen konkurrierenden Tarifvertrag verdrängenden Tarifvertrags zu bemühen.
3. Die in den Entscheidungen des BAG vom 14.12.2004 und 28.03.2006 – ABR 58/04 – festgestellte grundsätzliche Anerkennung von Minderheits- und Spartengewerkschaften steht einer grundsätzlichen Verdrängung eines Spartentarifvertrages durch einen die gesamte Belegschaft umfassenden Tarifvertrag entgegen.
Normenkette
BGB §§ 1004, 823
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Urteil vom 08.11.2006; Aktenzeichen 6 Ca 1235/06) |
Tenor
1. Die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 08.11.2006 – Az: 6 Ca 1235/06 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob dem Beklagten Streikmaßnahmen zum Zwecke des Abschlusses von Tarifverträgen für Flugsicherungsbedienstete, insbesondere Fluglotsen im Betrieb der Klägerin zu untersagen sind.
Die Klägerin betreibt den Flughafen F.. Die Fluglinie R. macht am Umsatz der Klägerin aus Flughafengebühren und – entgelten einen Anteil von 63 % aus. Neun Flugzeuge dieser Fluglinie bieten täglich 42 Flüge an. Aktuell verhandelt die Klägerin mit R. über die Stationierung weiterer zwei Flugzeuge.
Die Klägerin beschäftigt derzeit 321 Arbeitnehmer/innen, davon 15 Fluglotsen und einen Flugsicherungstechniker. Von diesen 16 Mitarbeiterin sind 75 % bei dem Beklagten gewerkschaftlich organisiert. Die übrigen 25 % sind ohne Gewerkschaftsbindung.
Im Februar 2003 wurde die Gewerkschaft der Flugsicherung als nicht rechtsfähiger Verein gegründet. Infolge von Streitigkeiten über die Wirksamkeit dieser Gründung fand eine Neugründung als Gewerkschaft der Flugsicherung e.V., des Beklagten, statt. Der Beklagte ist seit dem 15.09.2003 im Register des Amtsgerichts F. als eingetragener Verein registriert mit dem wesentlichen Ziel, die Arbeit- und Wirtschaftsbedingungen seiner Mitglieder zu regeln. Gemäß § 4 seiner Satzung i. d. F. vom 07.03.2004 umfasst sein Organisationsbereich alle mit der Durchführung der Flugsicherung befassten Unternehmen und Betriebe sowie alle Mitarbeiter, die zum Zeitpunkt der Eintragung des Beklagten Mitglied des Verbandes Deutscher Flugleiter (VDF) oder des Verbandes Deutscher Flugsicherungstechniker und – Ingenieure (FTI) waren sowie der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) und ihrer Einrichtungen. Bei der VDF und FTI handelte es sich um die früheren Berufsverbände der Flugleiter, Flugsicherungstechniker und – Ingenieure, welche mit der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) durch einen Kooperationsvertrag verbunden waren. Aufgrund dieser Vereinbarungen waren ihre Mitglieder zugleich Mitglieder der DAG, später ver.di. Sie erhielten tarif- und betriebspolitische Betreuung und entsandten Mitglieder in Tarif- und Verhandlungskommissionen. Im Anschluss an eine ordentliche Kündigung dieses Kooperationsvertrages durch den VdF zum 31.10.2003 kündigte ver.di diesen im Herbst 2002 außerordentlich.
Zwischen der Klägerin und der DAG sowie der ÖTV kam es im November 2002 erstmalig zum Abschluss mehrerer Haustarifverträge. Derzeit gelten ein Manteltarifvertrag, ein Entgeltrahmentarifvertrag, ein Tarifvertrag über eine leistungsbezogene Bezahlung, ein Tarifvertrag zur betrieblichen Altersversorgung, ein Öffnungstarifvertrag zur Entgeltumwandlung, ein Überleitungstarifvertrag sowie ein sog. Feuerwehrtarifvertrag mit einer Sonderregelung für die Arbeitnehmer der Klägerin, die hauptberuflich im operativen feuerwehrtechnischen Dienst tätig sind. Am 12.08.2005 schlossen die Gewerkschaft ver.di und die Klägerin ein Entgeltabkommen für alle Arbeitnehmer der Klägerin (siehe Anlagenordner).
Bereits in 2003 hatte ...