Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame Kündigung bei falscher Adressierung des Kündigungsschreibens. Verzugslohnanspruch bei unerheblichen Darlegungen der Arbeitgeberin zur böswilligen Unterlassung anderweitigen Verdienstes durch unterlassene Arbeitslosmeldung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der eine Kündigung empfangende Arbeitnehmer kann sich nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) dann nicht auf den fehlenden oder verspäteten Zugang der Kündigung berufen, wenn er die Zugangsverzögerung als Verzögerung oder Vereitelung selbst zu vertreten hat; das gilt jedoch nur dann, wenn die kündigende Arbeitgeberin alles Erforderliche und Zumutbare getan hat, damit ihre Kündigung den Adressaten auch tatsächlich erreichen kann.
2. Ist das Kündigungsschreiben mit einer falschen Postleitzahl und dementsprechend auch mit einem falschen Zustellungsort unrichtig adressiert und ist das Kündigungsschreiben an eine dritte Person an einem anderen Ort übergeben worden, hat die kündigende Arbeitgebrin nicht alles Erforderliche getan, damit dieses Schreiben den Arbeitnehmer erreichen kann.
3. Auch eine dem Arbeitnehmer als PDF-Dokument per E-Mail übersandte Kündigung wahrt die Schriftform gemäß § 126 Abs. 1 BGB nicht und ist folglich nach § 623 BGB in Verbindung mit § 134 BGB nichtig.
4. Eine Anrechnung böswillig unterlassenem Zwischenverdienst (§ 615 Satz 2 BGB) wegen unterlassenen Meldung des Arbeitnehmers bei der Arbeitsagentur als Arbeitssuchend kommt nicht in Betracht; im Anwendungsbereich des § 615 Satz 2 BGB besteht keine Verpflichtung des Arbeitnehmers, sich bei der Agentur für Arbeit als Arbeitssuchender zu melden, da die Vorschriften über den Annahmeverzug keine Obliegenheit des Arbeitnehmers begründen, die Vermittlung der Bundesagentur für Arbeit in Anspruch zu nehmen.
Normenkette
BGB §§ 130, 615 S. 2, § 126 Abs. 1, § 130 Abs. 1 S. 1, §§ 134, 242, 623; KSchG §§ 4, 7
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 25.08.2015; Aktenzeichen 12 Ca 4899/14) |
Tenor
- Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 25.08.2015, Az: 12 Ca 4899/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund verschiedener ordentlichen Kündigungen der Beklagten sein Ende gefunden hat und des Weiteren darüber, ob dem Kläger Annahmeverzugsentgeltansprüche für die Zeit vom 27.11.2014 bis einschließlich August 2015 sowie weitere Zahlungsansprüche zustehen.
Der Kläger war bei der Beklagten, einer in England ansässigen Ltd., seit dem 26.05.2014 als sog. "Senior Sales -Engineer" (Vertriebsingenieur) tätig. Der Kläger wickelte seine Vertriebstätigkeit und Arbeitsleistung für die Beklagte zu Hause aus in einem sog. Home Office ab. Hinsichtlich des Inhalts des ausschließlich auf Englisch verfassten Arbeitsvertrages wird auf Blatt 11 bis 16 der Akten Bezug genommen.
Das vertraglich vereinbarte Bruttomonatsgehalt betrug 7.666 € zuzüglich einer sog. "car allowence" in Höhe monatlich 1.000 € brutto für die Nutzung seines Privatwagens zu dienstlichen Zwecken. Nach dem zwischen den Parteien geschlossenen Arbeitsvertrag und aufgrund der während des Arbeitsverhältnisses erfolgten tatsächlichen Übung zahlte die Beklagte das monatliche Gehalt an den Kläger jeweils Mitte des laufenden Monates zum 16. aus. Es bestand zudem eine arbeitsvertragliche Verpflichtung der Beklagten, die für den Betrieb seines Home Office entstehenden Kosten für die Versorgung mit Internet und Mobiltelefon zu erstatten.
Nach Ablauf der Probezeit sieht der Arbeitsvertrag eine Kündigungsfrist einem Monat zum Monatsende vor. Ziffer 2 des Arbeitsvertrages enthält Regelungen über eine Zielerreichungsvergütung. Danach erhält der Kläger bei Erreichen des der Gesellschaft der Beklagten erwarteten Umsatz- und Gewinnergebnisses eine Gratifikation in Höhe 36.800 € brutto jährlich. Die Beklagte erreichte im Jahr 2014 die gesetzten Ziele und leistete entsprechende Zahlungen an andere Mitarbeiter mit gleicher Gratifikationszusage wie bei dem Kläger.
Mit E-Mail vom 15.11.2014 nahm die Beklagte auf ein Kündigungsschreiben vom 12.11.2014 Bezug, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit zum 26.11.2014 beendet haben soll. Da der Kläger den Erhalt dieses Kündigungsschreibens abstritt, übermittelte die Beklagte ihm im Verlauf der weiteren E-Mail Korrespondenz als Anhang eine PDF Datei eines Kündigungsschreibens vom 12.11.2014.
Die Beklagte sprach weitere drei Kündigungen aus, jeweils auf den 07.05.2015 datiert. Sämtliche Kündigungsschreiben sind an Herrn R. A., A-Straße in A-Stadt adressiert. Diese Kündigungsschreiben vom 07.05.2015 erhielt der Kläger am 13.05, am 15.05. sowie am 20.05.2015. Des Weiteren übersandte die Beklagte dem Kläger eine weitere Kündigung vom 20.05.2015. Dieses Kündigungsschreiben wurde durch einen Kurierdienst am 27.05.2015 um 11:25 Uhr in den Briefkasten der Wohnung des Klägers einge...