Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung. Betriebsbedingte Kündigung wegen beabsichtigter Betriebsstilllegung. Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO. Überprüfung der Sozialauswahl im Insolvenzfall. Grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Kündigung aus Anlass des Betriebsübergangs. Konsultationsverfahren gem. § 17 Abs. 2 KSchG. Teilweise Parallelentscheidung zu LAG Rheinland-Pfalz 5 Sa 322/21 v. 28.04.2022
Leitsatz (redaktionell)
1. Betriebliche Erfordernisse liegen dann vor, wenn Umstände aus dem wirtschaftlichen oder betriebstechnischen Bereich dazu führen, dass die betriebliche Arbeitsmenge so zurückgeht, dass der Beschäftigungsbedarf für einen oder mehrere Arbeitnehmer entfällt. Erforderlich ist eine konkrete Auswirkung auf die Einsatzmöglichkeit des gekündigten Arbeitnehmers.
2. Neben der Kündigung wegen erfolgter Stilllegung kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stilllegung in Betracht. Im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung muss die auf Tatsachen gestützte, betriebswirtschaftliche Prognose gerechtfertigt sein, dass zum Kündigungstermin mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes vorliegen wird. Allerdings ist bei einer Betriebsstilllegung erforderlich, dass die geplanten Maßnahmen zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits "greifbare Formen" angenommen haben.
3. Gibt es bei einer Betriebsänderung eine Namensliste des Interessenausgleichs, wird im Insolvenzfall nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO vermutet, dass die Kündigungen durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen, bedingt sind.
4. Nach § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 InsO kann die soziale Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer nur eingeschränkt auf grobe Fehlerhaftigkeit nachgeprüft werden. Denn diese Bestimmung soll eine erfolgreiche Sanierung des insolventen Unternehmens fördern und Kündigungserleichterungen schaffen.
5. Die Sozialauswahl ist grob fehlerhaft, wenn ein evidenter, ins Auge springender schwerer Fehler vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt. Dies ist auch bei einer offensichtlichen Überdehnung der betrieblichen Interessen der Fall.
6. Die Kündigung durch den alten oder neuen Arbeitgeber ist im Sinne des § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB nur dann wegen des Betriebsübergangs erfolgt, wenn dieser der alleinige oder zumindest tragende Beweggrund oder die wesentliche Bedingung für die Kündigung und nicht nur der äußere Anlass ist und andere sachliche Gründe, die aus sich heraus die Kündigung zu rechtfertigen vermögen, nicht vorgebracht sind.
7. Das Konsultationsverfahren soll dem Betriebsrat Einfluss auf die Willensbildung des Arbeitgebers ermöglichen. Dazu hat der Arbeitgeber die erforderlichen Auskünfte rechtzeitig zu erteilen.
Normenkette
BGB § 613a Abs. 1, 4; InsO §§ 113, 125, 128; KSchG § 1; ZPO § 138; KSchG §§ 4, 17 Abs. 2; BGB § 134; BetrVG § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 01.06.2021; Aktenzeichen 4 Ca 58/21) |
Tenor
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 01.06.2021 - 4 Ca 58/21 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
- Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten (im Berufungsverfahren nur noch) darüber, ob das zwischen der Gemeinschuldnerin und der Klagepartei bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund ordentlicher betriebsbedingter Arbeitgeberkündigung sein Ende gefunden hat, oder aber nicht.
Der Beklagte ist der Insolvenzverwalter über das Vermögen der K. GmbH, der Gemeinschuldnerin. Das Insolvenzverfahren wurde zunächst in Eigenverwaltung am 01.12.2020 eröffnet. Am 01.03.2021 wurde der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.
Die Klagepartei ist seit dem 01.08.1980 bei der Gemeinschuldnerin beschäftigt, zuletzt zu einer Bruttomonatsvergütung in Höhe von 3446,88 EUR. Die Klagepartei war als Arbeiter bei der Gemeinschuldnerin beschäftigt.
Am 22./25.01.2021 wurde zwischen der Gemeinschuldnerin und dem Betriebsrat ein Interessenausgleich mit Namensliste abgeschlossen; die Klagepartei ist in dieser Namensliste aufgeführt. Der Interessenausgleich, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Bl. 44 ff. d.A. Bezug genommen wird, enthält u.a. folgende Regelungen:
"Vorbemerkung:
...
Gegenstand des Unternehmens der K. GmbH ist die Kollektionsentwicklung, Herstellung und der Vertrieb von Schuhwaren; Gegenstand des Unternehmens der K. Retail GmbH ist der Handel mit von der K. GmbH produzierten Schuhwaren über Shops.
Es hat sich herausgestellt, dass das Unternehmen der K. GmbH aus eigener Kraft nicht überlebensfähig ist und ohne übertragende Sanierung stillgelegt werden muss. Trotz intensiver Suche war der Investorenprozess nicht erfolgreich. Vor diesem Hintergrund kann der Betrieb der K. GmbH nicht mehr fortgeführt werden, sondern ist stillzulegen. Auch der Betrieb der K. Retail GmbH ist stillzu...