Entscheidungsstichwort (Thema)
Kommissioniererin. Kündigung, betriebsbedingte. Betriebsbedingte Kündigung einer Kommissioniererin
Leitsatz (redaktionell)
1. Bei einer betriebsbedingten Kündigung muss für das Gericht nicht nur feststellbar sein, dass bei gestaltender unternehmerischer Entscheidung durch deren Umsetzung ein Bedürfnis für die Beschäftigung des Arbeitnehmers entfallen ist, sondern auch, dass die betrieblichen Erfordernisse „dringend” sind.
2. Der maßgebende Zeitpunkt ist der Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung. Dieser schließt es allerdings nicht aus, feststehende künftige Entwicklungen zu berücksichtigen. Wohnt dem Kündigungsgrund ein prognostisches Element inne, kann der tatsächliche Eintritt der prognostizierten Entwicklung Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit und Plausibilität der Prognose zulassen.
3. Der Arbeitgeber hat die Tatsachen vorzutragen und zu beweisen, die die dringende Betriebsbedingtheit der Kündigung bedingen. Beruft er sich auf einen Wegfall von Beschäftigungsmöglichkeiten wegen einer gestalteten unternehmerischen Entscheidung, hat er die Existenz dieser unternehmerischen Entscheidung darzulegen und im Einzelnen vorzutragen, inwiefern aufgrund dieser Entscheidung welche Beschäftigungsmöglichkeiten in welcher Anzahl entfallen sollen.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Urteil vom 03.06.2009; Aktenzeichen 10 Ca 224/09) |
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 03.06.2009 – 10 Ca 224/09 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Mit ihrer am 4. Februar 2009 zum Arbeitsgericht erhobenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der ihr gegenüber mit Schreiben vom 29. Januar 2009 zum 30. April 2009 ausgesprochenen arbeitgeberseitigen Kündigung.
Die am 30. Dezember 1964 geborene Klägerin, die verwitwet ist, wurde seit 10. Mai 1999 von dem Beklagten als Kommissioniererin im LSC Logistik-Service-Center in A-Stadt mit einer Bruttovergütung von zuletzt 1.972,08 EUR brutto in A-Stadt beschäftigt. Das Kündigungsschreiben enthält u. a. folgende Begründung:
Folgende Gründe haben uns zu dieser Maßnahme veranlasst:
Mit Stand 01.08.2008 betrug das Ausliefervolumen des RV-LSC A-Stadt pro Woche insgesamt 504 zu beliefernde Verkaufsstellen. Im Zeitraum 01.08.2008 bis 31.01.2009 wurden 21 Filialen geschlossen.
Demzufolge wird das RV-LSC A-Stadt mit Stand 31.01.2009 nur noch ein wöchentliches Ausliefervolumen von 483 zu beliefernden Verkaufsstellen haben.
Dies hat zur Folge, dass sich der auszuliefernde Warenwert verringert.
Durch die Verringerung des Arbeitsvolumens reduziert sich auch die Anzahl der zu leistenden Stunden, um die Kommissionierung der restlichen Verkaufsstellenbestellungen sicherzustellen.
Aus diesem Grund sind wir leider gezwungen entsprechend die Anzahl der Mitarbeiter zu reduzieren.
Unter Berücksichtigung der zu der Sozialauswahl gehörenden Kriterien: Alter, Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflicht und Schwerbehinderteneigenschaft, sind wir zum Entschluss gekommen, dass Sie mit den zu den am wenigsten schutzbedürftigen Mitarbeitern zählen.
Die Klägerin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten,
die streitgegenständliche Kündigung sei rechtsunwirksam. Betriebsbedingte Gründe seien nicht vorgetragen. Dies gelte insbesondere im Hinblick auf die Betriebsvereinbarung vom 04.09.1996, wonach die Beklagte gehalten sei, ein Arbeitsvolumen von 5000 Stunden pro Woche im Zentrallager A-Stadt vorzuhalten.
Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
es werde festgestellt, dass die Kündigung des Beklagten vom 29.01.2009 rechtsunwirksam sei und das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet habe.
Die Beklagte hat erstinstanzlich
Klageabweisung
beantragt und erwidert,
mit Stand 1. August 2008 seien pro Woche insgesamt 504 Filialen beliefert worden. Im Zeitraum vom 1. August 2008 bis 31. Januar 2009 seien 21 Filialen geschlossen worden. Dies mache einen Wegfall von Arbeitszeitvolumen in Höhe von 4,15% aus. Jede der 21 geschlossenen Filialen umfasse einen Lieferumfang von ca. 900 Bestellpositionen. Die durchschnittliche Kommissionierleistung eines Kommissionierers liege bei ca. 160 Positionen pro Stunde, was bei einem 7,5-Stunden-Tag 1200 Positionen pro Kommissionierer pro Tag ausmache. Bezugnehmend auf die 21 Verkaufsstellen, die nicht mehr von dem LSC A-Stadt zugehörig seien, bedeute dies einen Umfang von 21000 Bestellpositionen pro Woche, die nicht mehr bearbeitet werden müssen. Bei einer Fünf-Tage-Woche entfielen daher 3,5 vollzeitbeschäftigte Mitarbeiter des LSC (21000: 12000: 5). Da für die Verkaufsstellen nicht nur Haupt-, sondern auch Nebentätigkeiten wie Retouren, Bruch und Verderb bearbeitet werden müssten, seien letztlich vier Mitarbeiter zu kündigen gewesen. Die vier zu kündigenden Mitarbeiter seien die Klägerin, Herr X., Herr V. und Frau Z.. Die Betriebsvereinbarung hindere die Kündigung nicht, da diese schon im Jahre 1999 gekündigt worden sei.
Zu den weiteren Einzelh...