Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung. Sozialauswahl, grob fehlerhafte. Kündigung und grob fehlerhafte Sozialauswahl. Namensliste. Grobe Fehlerhaftigkeit. Punkteschema
Leitsatz (amtlich)
Eine Sozialauswahl kann dann „grob fehlerhaft” i. S. d. § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG sein, wenn nach dem vom (beklagten) Arbeitgeber verwendeten Punktesystem der gekündigte Arbeitnehmer (Kläger) 62 Punkte erreicht, – wohingegen ein vergleichbarer Arbeitnehmer, dem nicht gekündigt wurde, nur 52 Punkte aufweist.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 5 S. 2
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Urteil vom 12.07.2005; Aktenzeichen 5 Ca 2013/04) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – vom 12.07.2005, Az. 5 Ca 2013/04 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.
Der am 20.10.1962 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 13.03.1989 als Arbeiter bei der Beklagten, die mit ca. 460 Arbeitnehmern pharmazeutische Produkte herstellt, gegen Zahlung einer monatlichen Arbeitsvergütung in Höhe von ca. 2.350,00 EUR brutto beschäftigt.
Am 26.04.2004 vereinbarte die Beklagte mit dem bei ihr errichteten Betriebsrat einen Interessenausgleich (Bl. 18 ff. d. A.), wonach 41 Arbeitsplätze wegen eines zu erwartenden Umsatzrückgangs abgebaut und hierbei auch betriebsbedingte Kündigungen erklärt werden sollten. Dem Interessenausgleich war als Anlage eine Namensliste der von einer Kündigung betroffenen Arbeitnehmer beigefügt, in der unter anderem auch der Name des Klägers enthalten ist.
Mit Schreiben vom 27.08.2004 (Bl. 26 ff. d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu der beabsichtigten ordentlichen Kündigung des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses an. Nachdem der Betriebsrat am 30.08.2004 seine Zustimmung schriftlich erklärt hatte (Bl. 27 d. A.) kündigte die Beklagte das Beschäftigungsverhältnis mit Schreiben vom 30.08.2004 (Bl. 4 d. A.) zum 28.02.2005.
Am 16.09.2004 ist die hiergegen gerichtete Kündigungsklage des Klägers beim Arbeitsgericht Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – eingegangen.
Von einer wiederholenden Darstellung des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf die Zusammenfassung im Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – vom 12.07.2005 (dort S. 4 – 7 = Bl. 53 – 56 d. A.) Bezug genommen.
Der Kläger hat beantragt,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungserklärung der Beklagten vom 30.08.2004 nicht aufgelöst wurde,
- festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 28.02.2005 hinaus fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht Koblenz – Auswärtige Kammern Neuwied – hat mit Urteil vom 12.07.2005 der Klage vollumfänglich stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung vom 30.08.2004 sei wegen eines Verstoßes gegen § 17 Abs. 1 KSchG unwirksam, da die Beklagte die erforderliche Massenentlassungsanzeige vor Ausspruch der 41 Kündigungen bei der Agentur für Arbeit nicht eingereicht habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichtes wird auf Seite 7 ff. seines Urteils (= Bl. 56 ff. d. A.) verwiesen.
Die Beklagte, der die Entscheidung des Arbeitsgerichtes am 09.11.2005 zugestellt worden ist, hat am 16.11.2005 Berufung zum Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingelegt und am 23.12.2005 ihr Rechtsmittel begründet.
Die Beklagte macht geltend,
eine Massenentlassungsanzeige sei bei zutreffender Auslegung des § 17 KSchG nicht erforderlich gewesen, da 13 Arbeitnehmer zum Ende des Monats September 2004, neun Arbeitnehmer zum Ende des Monats Oktober 2004, drei Arbeitnehmer zum Ende des Monats November 2004, fünf Arbeitnehmer zum Ende des Monats Dezember 2004, vier Arbeitnehmer zum Ende des Monats Januar 2005, drei Arbeitnehmer zum Ende des Monats Februar 2005 und drei weitere Arbeitnehmer zum Ende des Monats März 2005 entlassen worden seien. Die Rechtsaufassung des Arbeitsgerichtes, wonach eine „Entlassung” im Sinne von § 17 KSchG identisch sei mit der Kündigungserklärung, sei unzutreffend; zumindest habe die Beklagte vor Verkündung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 27.01.2005 auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes vertrauen dürfen.
Die vorgenommene Sozialauswahl sei nicht zu beanstanden, da der Kläger bei der Beklagten lediglich als Maschinenbediener einsetzbar sei und alle Maschinenbediener, die weniger als 62 Punkte, aufgrund des angewandten Punktesystems, erreicht hätten und von der Sozialauswahl nicht auszunehmen gewesen seien, eine Kündigung erhalten hätten. Der Kläger sei aber lediglich auf 61 Punkte gekommen. Diese Punktezahl ergebe sich aus den Sozialdaten des Klägers bezogen auf das von der Beklagten angewandte Punktesystem, das auf folgenden Vorgaben ber...