Entscheidungsstichwort (Thema)
Personenkreis. auswahlrelevanter. Betriebliche Kündigung. Sozialauswahl
Leitsatz (amtlich)
Grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl i.S.d. § 1 V KSchG bei Vekennung des auswahlrelevanten Personenkreises
Normenkette
KSchG § 1
Verfahrensgang
ArbG Koblenz (Urteil vom 17.05.2006; Aktenzeichen 7 Ca 2861/04) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 17.05.06 (Aktz.: 7 Ca 2861/04), abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.11.04 aufgelöst worden ist.
2. Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im vorliegenden Verfahren streitet der Kläger gegen eine ihm gegenüber seitens der Beklagten ausgesprochenen ordentlichen Beendigungskündigung.
Der 1971 geborene Kläger ist seit Januar 1987 bei der Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Seine Bruttomonatsvergütung betrug zuletzt 2.114,68 EUR.
Der Kläger wurde jahrlang am so genannten Tunnelofen an einem Einzelarbeitsplatz beschäftigt. Seit dem 19.07.2004 wurde er an einer so genannten Schrumpfanlage beschäftigt, da dort ein Mann, der Mitarbeiter W, bis zum 31.01.2005 in ein anderes Lager versetzt wurde. Am 01.02.2005 kehrte Herr W an seinen bisherigen Arbeitsplatz zurück. An dieser Schrumpfanlage war der Kläger zusammen mit den Mitarbeitern V, U und T sowie Herrn T eingesetzt. Die ihm im Rahmen der Arbeit an der Schrumpfanlage aufgetragenen Arbeiten erledigte er ohne Beanstandungen.
Der Kläger hat die Sonderschule besucht. Er ist des Lesens und Schreibens nur sehr eingeschränkt mächtig.
Der ebenfalls an der Schrumpfanlage eingesetzte Herr V, der am 24.01.1979 geboren wurde und seit dem 01.07.2002 bei der Beklagten beschäftigt ist, kam am 01.07.2002 direkt aus der Türkei und war seinerzeit der deutschen Sprache nicht mächtig. Auch jetzt noch ist er nur in der Lage, sehr gebrochen und rudimentär deutsch zu sprechen. Seine Arbeit kann er nur verrichten, wenn er ständig von den drei weiteren Kollegen, Herrn T, Herrn U und Herrn T angewiesen wird.
Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung gegenüber dem Kläger war Herr V verheiratet. Dass seine Frau zu diesem Zeitpunkt schwanger war, wusste die Beklagte nicht.
Die Beklagte entschloss sich aufgrund außerbetrieblicher Umstände den so genannten „Tunnelofen” zum Ende des Jahres 2004 stillzulegen. Stattdessen schaffte sie einen so genannten Rollenofen an. Sie legte für die Mitarbeiter an diesem Rollenofen ein Aufgabenprofil dergestalt fest, dass diese Lesen und Schreiben können müssen. Dies hat seine Grundlage darin, dass dort Computer zu bedienen sind und entsprechende Meldungen des Computers auch zu lesen sind.
Aufgrund der Einführung des Rollenofens und Abschaffen des Tunnelofens sah die Beklagte die Notwendigkeit, sich von einem Teil ihrer Mitarbeiter zu trennen. Sie vereinbarte insofern einen Interessenausgleich mit einer Namensliste mit ihrem Betriebsrat am 24.11.2004, auf dessen Inhalt verwiesen wird (Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 06.01.2005, Bl. 16 ff. d. A.). In der Namensliste der zu kündigenden Arbeitnehmer ist auch der Kläger aufgeführt.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Kündigungsschreiben vom 29.11.2004 zum 28.02.2005.
Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen,
die Kündigung sei deswegen sozial ungerechtfertigt, da er nach entsprechender Einweisung auch Tätigkeiten am neuen Rollenofen verrichten könne. Jedenfalls sei er mit den Mitarbeitern an der Schrumpfanlage sozial vergleichbar. Diese seien aufgrund ihrer weit kürzeren Betriebszugehörigkeit sozial stärker als er. Außerdem sei es nicht gerechtfertigt gewesen, die Arbeitsverträge der Arbeitnehmer V und U, die bis zum Juli bzw. August 2004 lediglich befristet bestanden, zu entfristen und ihn nach 18-jähriger Betriebszugehörigkeit zu kündigen. Er könne alle Tätigkeiten an der Schrumpfanlage selbständig erledigen und zwar zumindest genau so gut, wenn nicht besser als die dort eingesetzten türkischen Mitarbeiter.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten am 29.11.2004 aufgelöst wurde.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen:
Der Kläger sei aufgrund seiner Lese- und Schreibschwäche nicht mit anderen Arbeitnehmern vergleichbar. Dies gelte sowohl für Arbeitnehmer, die im Bereich der Abteilung Rollenofen eingesetzt werden, als auch mit den Arbeitnehmern an der Schrumpfanlage. Im Rahmen seiner siebenmonatigen Tätigkeiten dort habe sich gezeigt, dass der Kläger nicht in der Lage sei ohne Unterstützung anderer Arbeitnehmer dort alle Arbeiten zu verrichten. Er konnte nur nach Anleitung und Vorgaben arbeiten und eingesetzt werden.
Bezüglich des Weiteren erstinstanzlichen Sachvortrages der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 24.08.2006 die Klage abgewiesen.
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