Entscheidungsstichwort (Thema)

Unverhältnismäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung bei Unterlassung betrieblicher Eingliederungsmaßnahmen und unzureichenden Darlegungen zu kündigungsvermeidenden Bemühungen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die Arbeitgeberin trägt die Darlegungs- und Beweislast für alle Umstände, die gemäß § 1 Abs. 2 KSchG die Kündigung begründen (§ 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG). Das gilt auch für das Fehlen einer anderweitigen Beschäftigungsmöglichkeit.

2. Hat die Arbeitgeberin entgegen den Vorgaben des § 84 Abs. 2 SGB IX ein "Betriebliches Eingliederungsmanagement" unterlassen, führt dies zu einer Erweiterung ihrer Darlegungslast in Bezug auf das Fehlen milderer Mittel zur Vermeidung des Kündigungsausspruchs. Erscheint es denkbar, dass ein Betriebliches Eingliederungsmanagement ein positives Ergebnis erbracht und das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau krankheitsbedingter Fehlzeiten oder zur Überwindung der Arbeitsunfähigkeit Erfolg gehabt hätte, muss sich die Arbeitgeberin regelmäßig vorhalten lassen, dass sie "vorschnell" gekündigt hat.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2 S. 1; SGB IX a.F. § 84; KSchG § 1 Abs. 2 S. 4; SGB IX § 84 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Kaiserslautern (Entscheidung vom 18.10.2017; Aktenzeichen 4 Ca 299/17)

 

Tenor

  1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 18. Oktober 2017, Az. 4 Ca 299/17, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
  2. Die Revision wird nicht zugelassen.
 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen personenbedingten Kündigung wegen häufiger Krankheitszeiten.

Der 1956 geborene, verheiratete Kläger ist aufgrund Arbeitsvertrags vom 12. Dezember 1996 (Bl. 4 d. A.) seit dem 18. November 1996 bei der Beklagten tätig. Gemäß Ziffer 2 des Arbeitsvertrags gelten für das Arbeitsverhältnis "die Mantel-(Rahmen-)Tarifverträge und die diese ergänzenden Tarifverträge in der jeweils gültigen Fassung des Landesverbandes Gartenbau Rheinland-Pfalz".

Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer mit Ausnahme der zur Berufsausbildung Beschäftigten. Ab dem 1. Februar 2014 wurde die Arbeitszeit des Klägers einvernehmlich von 39 auf 31 Stunden reduziert. Er erzielt eine Vergütung in Höhe von zuletzt 1,467,69 € brutto monatlich.

Der Kläger war wie folgt arbeitsunfähig: Im Jahr 2012 an 49 Arbeitstagen, 2013 an 74 Arbeitstagen, 2014 an 178 Arbeitstagen, 2015 an 29 Arbeitstagen, 2016 an 70 Arbeitstagen und in der Zeit vom 1. Januar bis 31. August 2017 an 59 Arbeitstagen. Er legte der Beklagten ein Ärztliches Attest des Dr. med. Z. Y., X.-Stadt vom 15. Mai 2017 (Bl. 27 d. A.) vor, wonach aufgrund der vorliegenden Erkrankung "möglichst Überkopfarbeiten bzw. Arbeiten in längerer Zwangshaltung vermieden werden" sollten. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) führte die Beklagte nicht durch.

Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 22. Juni 2017 "aus personenbedingten Gründen" "fristgerecht zum 30.09.2017" gekündigt. Gegen diese dem Kläger am 26. Juni 2017 zugegangene Kündigung wendet sich dieser mit seiner am 6. Juli 2017 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage.

Der Kläger war der Ansicht,

Kündigungsgründe im Sinn des § 1 KSchG lägen nicht vor. Die Kündigungsfrist sei nicht eingehalten.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

  1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22. Juni 2017 nicht aufgelöst worden ist,
  2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst wird, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen,

die konkreten Krankheitsursachen seien ihr nicht bekannt. Eine negative Gesundheitsprognose im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sei gegeben. Der Kläger sei als Lagerhelfer im Versand tätig gewesen und zuletzt in der Hausmeisterei. Da es sich dabei um eine körperliche Arbeit handele, müsse zukünftig weiterhin mit erheblichen krankheitsbedingten Fehlzeiten gerechnet werden. Aus der Abwesenheitsliste des Klägers auch nach Zugang der Kündigung ergebe sich, dass die krankheitsbedingten Ausfallzeiten nicht abnähmen.

Diese krankheitsbedingten Ausfallzeiten des Klägers hätten geführt und führten zu einer erheblichen Beeinträchtigung ihrer betrieblichen und auch wirtschaftlichen Interessen. Die insbesondere wirtschaftlichen Belastungen ergäben sich gerade durch die dauerhafte und sich wiederholende Störung des Austauschverhältnisses infolge erheblicher Entgeltfortzahlungskosten. Durch die Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers seien ihr Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von 4.155,47 € im Jahr 2012, 4.076,34 € im Jahr 2013, 2.417,22 € im Jahr 2014, 114,86 € im Jahr 2015, 3.997,22 € im Jahr 2016 und 3.593,93 € in der Zeit vom 1. Januar bis 25. August 2017 entstanden. Nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung sei der Kläger im September 2017 an 15 Tagen mit Ent...

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