Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtfertigungsgrund für eine betriebsbedingte Kündigung. Überprüfung der Organisationsentscheidung des Arbeitgebers. Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung. Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer im Rahmen der Sozialauswahl des § 1 Abs. 3 KSchG
Leitsatz (redaktionell)
1. Dringende betriebliche Erfordernisse, die eine Kündigung bedingen, können sich daraus ergeben, dass der Arbeitgeber sich zu einer organisatorischen Maßnahme entschließt, deren Umsetzung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer entfallen lässt.
2. Eine solche unternehmerische Entscheidung ist gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit hin zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich ist. Nachzuprüfen ist, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für einzelne Arbeitnehmer entfallen ist.
3. Eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers ist dem Arbeitgeber selbst bei Vorhandensein eines freien Arbeitsplatzes nur möglich, wenn der Arbeitnehmer dem Anforderungsprofil der freien Stelle - sei es auch erst nach einer zumutbaren Umschulung oder Fortbildung - entspricht.
4. Der Arbeitgeber hat in die Sozialauswahl diejenigen Arbeitnehmer einzubeziehen, die objektiv miteinander vergleichbar sind. Vergleichbar sind Arbeitnehmer, die - bezogen auf die Merkmale des Arbeitsplatzes - sowohl aufgrund ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse als auch nach dem Inhalt der von ihnen vertraglich geschuldeten Aufgaben austauschbar sind.
Normenkette
BetrVG § 102 Abs. 1 S. 3; KSchG § 1 Abs. 2-3; ZPO § 138 Abs. 3; SGB IX § 85; BEEG § 18
Verfahrensgang
ArbG Mainz (Entscheidung vom 05.05.2021; Aktenzeichen 2 Ca 1784/20) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 05. Mai 2021 - 2 Ca 1784/20 - abgeändert und die Klage abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2. Instanz) hat der Kläger zu tragen.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.
Der 1966 geborene, verheiratete Kläger, der Diplom-Physiker ist, war bei der Beklagten seit dem 1. April 2008 aufgrund Arbeitsvertrags vom 28. November/5. Dezember 2007 (Bl. 4 - 8 d. A.) zunächst als "Sales Manager Automotive" und seit 1. Juli 2015 als "Director Sales Automotive" (Bl. 122 d. A.) beschäftigt.
Die Beklagte ist die Konzernobergesellschaft eines internationalen Technologiekonzerns mit weltweit ca. 16.500 Mitarbeitern, die u.a. auf die Herstellung von Glas und Glas-Keramik spezialisiert ist. Sie beschäftigt in Deutschland an sechs Standorten ca. 5.900 Mitarbeiter. An ihrem Hauptsitz in C-Stadt beschäftigt sie ca. 2.850 Mitarbeiter. In dem jeweiligen Betrieb der verschiedenen Standorte der Beklagten ist jeweils ein Betriebsrat gebildet.
Die dem Kläger übertragene Stelle als "Director Sales Automotive" (Leiter Vertrieb Automotive), eine Teamleiter-Position, ist im außertariflichen Bereich der Stellengruppe AT II zugeordnet. Als Vertriebsleiter für den Bereich "Automotive" war er im sog. strategischen Geschäftsfeld (Strategic Business Field - SBF) "Aviation/Automotive" beschäftigt, das zur sog. Business Unit (BU) "Lighting und Imaging" gehört. Sein direkter Vorgesetzter war Herr F. in seiner damaligen Funktion als "Global Director Sales & Marketing - Aviation/Automotive" (Globaler Leiter Vertrieb und Marketing des SBF Aviation/Automotive). Hinsichtlich der dem Kläger obliegenden Hauptaufgaben (Strategie und Planung, Vertrieb, Marketing/Produktmanagement, Budget und Mitarbeiterführung) wird auf die zuletzt erstellte Stellenbeschreibung vom 15. April 2020 (Bl. 66 d. A.) verwiesen.
Am 23. September 2020 fand eine Informationsveranstaltung für die Belegschaft der BU "Lighting und Imaging" statt, in der die Geschäftsleitung ankündigte, sich von zwölf Mitarbeitern, davon zehn Mitarbeiter am Standort C-Stadt, aus wirtschaftlichen Gründen zu trennen.
Mit Schreiben vom 17. November 2020 (Bl. 67 - 69 d. A.) hörte die Beklagte den in ihrem Betrieb in C-Stadt gebildeten Betriebsrat unter Angabe der Sozialdaten des Klägers zu der von ihr beabsichtigten ordentlichen Kündigung des mit dem Kläger bestehenden Arbeitsverhältnisses aus den von ihr dargestellten betriebsbedingten Gründen an; wegen der mitgeteilten Kündigungsgründe wird auf das Anhörungsschreiben vom 17. November 2020 verwiesen. Mit Schreiben vom 18. November 2020 (Bl. 71 d. A.) stimmte der Betriebsrat der beabsichtigten Kündigung des Klägers zu.
Mit Schreiben vom 23. November 2020 (Bl. 9 d. A.), dem Kläger am 26. November 2020 zugegangen, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen zum 31. Mai 2021 und stellte dem Kläger ab 27. November 2020 von der Erbringung der Arbeitsleistung frei.
Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 1. Dezember 2020 beim Arbeitsgericht Mainz eingegangen Kündigungsschutzklag...