Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Kündigung eines Heimerziehers bei Mitnahme von Lebensmitteln. Ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung bei fehlenden Angaben zur Unterhaltspflicht und ordentlichen Unkündbarkeit
Leitsatz (redaktionell)
1. Zum Nachteil der Arbeitgeberin begangene Eigentums- oder Vermögensdelikte sowie nicht strafbare und ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen der Arbeitgeberin kommen unabhängig vom Wert des Tatobjekts und der Höhe des eingetretenen Schadens als Grund für eine außerordentliche Kündigung in Betracht; ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seiner Arbeitgeberin vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, verstößt zugleich in schwerwiegender Weise gegen seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen.
2. Nimmt der als Erzieher in einem Wohnheim zur Betreuung von geistig behinderten Erwachsenen beschäftigte Arbeitnehmer Lebensmittel (wie Schwarzbrot, Quark, Chaumeskäse, Butter und Brötchen) aus dem Wohnheim an sich, stellt ein solches Verhalten auch dann einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar, wenn die rechtswidrige Handlung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen oder möglicherweise zu gar keinem Schaden führt; für die kündigungsrechtliche Beurteilung ist weder die strafrechtliche noch die sachenrechtliche Bewertung maßgebend sondern der mit der Pflichtverletzung verbundene Vertrauensbruch.
3. Für den Grad des Verschuldens und die Möglichkeit einer Wiederherstellung des Vertrauens macht es objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht; handelt es sich nach den Gesamtumständen auch unter Berücksichtigung der langjährigen Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers um eine so schwere Pflichtverletzung, dass eine Hinnahme durch die Arbeitgeberin offensichtlich und auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist, bedarf es zur außerordentlichen Kündigung keiner vorherigen Abmahnung.
4. Bei der Anhördung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG darf die Arbeitgeberin dem Betriebsrat keine persönlichen Umstände des Arbeitnehmers vorenthalten, die sich im Rahmen der Interessenabwägung entscheidend zu seinen Gunsten auswirken können; bei vorsätzlichen Vermögensdelikten zum Nachteil der Arbeitgeberin können Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers gegenüber einem Sohn allenfalls dann eine Bedeutung für den Kündigungsgrund im Rahmen der Interessenabwägung haben, wenn dieser persönliche Umstand in unmittelbarem Zusammenhang mit der Pflichtverletzung steht.
5. Für eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung braucht die Arbeitgeberin im Anhörungsbogen weder die einzuhaltende Kündigungsfrist und den voraussichtlichen Kündigungstermin noch den Betriebsrat darüber zu informieren, dass der Arbeitnehmer ordentlich unkündbar ist; bei der vorzunehmenden Prüfung, ob ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung des Arbeitnehmers vorliegt, besteht kein Anlass, neben dem Alter und der Beschäftigungsdauer die ordentliche Unkündbarkeit zu seinen Gunsten zu berücksichtigen und ihn besser zu stellen als einen Arbeitnehmer ohne diesen Sonderkündigungsschutz bei entsprechenden Einzelfallumständen und beiderseitigen Interessen.
6. Teilt die Arbeitgeberin dem Betriebsrat das Geburtsdatum des Arbeitnehmers und dessen Eintrittstag mit, ist der Betriebsrat in der Lage, die fiktive Kündigungsfrist zu berechnen.
Normenkette
BGB § 626; BetrVG § 102; BGB § 241 Abs. 2, § 314 Abs. 2 S. 1, § 626 Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 1 Sätze 1, 3
Verfahrensgang
ArbG Trier (Entscheidung vom 28.03.2013; Aktenzeichen 3 Ca 682/12) |
Tenor
I.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 28.03.2013 - 3 Ca 682/12 - abgeändert und die Klage abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2. Instanz) trägt der Kläger.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
Die Beklagte führt ein Wohnheim zur Betreuung von geistig behinderten Erwachsenen auf dem Hofgut S. Der 1953 geborene, verheiratete und gegenüber seinem Sohn (Student ohne Einkommen) unterhaltspflichtige Kläger war dort bei der Beklagten aufgrund Arbeitsvertrages vom 01. April 1996 (Bl. 26, 27 d. A.) seit dem 01. Juli 1996 als Erzieher beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der BAT bzw. der diesen ersetzende TVöD Anwendung. Danach ist der Kläger tariflich ordentlich unkündbar.
Die Beklagte erlaubt ihren hauptamtlichen Mitarbeitern, im Hofgut ihr Frühstück kostenpflichtig einzunehmen und dabei Lebensmittel der Beklagten zu verzehren. Hierzu tragen sich die Mitarbeiter in eine ausliegende "Frühstücksliste" für den jeweiligen Tag ein zwecks Verrechnung des pauschalen Kostenbeitrage...