Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung eines Kaufmännischen Direktors
Leitsatz (amtlich)
1. Die materielle Rechtskraft der einer Kündigungsschutzklage stattgebenden gerichtlichen Entscheidung umfasst die Untauglichkeit eines vorgetragenen Lebenssachverhalts als Kündigungsgrund, wenn er materiell geprüft worden ist. Dann vermag dieser Lebenssachverhalt eine nachfolgende, allein auf ihn gestützte Kündigung wegen § 322 ZPO nicht zu begründen.
2. Eine Präklusionswirkung in diesem Sinne entfaltet die gerichtliche Entscheidung nicht, wenn sich die tatsächlichen Umstände, aus denen der Arbeitgeber den Kündigungsgrund herleitet (Kündigungssachverhalt), wesentlich geändert haben. Eine wesentliche Änderung liegt nicht schon darin, dass der Arbeitgeber im Folgeprozess bei in tatsächlicher Hinsicht unverändertem Lebenssachverhalt lediglich weitere Argumente anführt, um seine Kündigung nunmehr erfolgreich auf denselben Kündigungsgrund zu stützen.
3. Beteiligt der Arbeitgeber seine Personalvertretung nur zu einer außerordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers, ersetzt dies die unterbliebene Anhörung zu einer ordentlichen Kündigung nur dann, wenn die Personalvertretung der außerordentlichen Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zustimmt und nicht ersichtlich ist, dass sie für den Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung einer ordentlichen Kündigung entgegengetreten wäre. Hierzu genügt es nicht, wenn sie dem Arbeitgeber lediglich mitteilt, sie habe sein Anhörungsschreiben zur Kenntnis genommen.
4. Der Arbeitgeber genügt seiner Darlegungs- und Beweislast für den Einwand, der Arbeitnehmer habe es im Sinne von § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unterlassen, anderweitigen Verdienst zu erzielen, nicht schon dadurch, dass er ihm vom Arbeitnehmer erteilte Auskünfte über vermittelte Stellenangebote und eigene Bewerbungsbemühungen lediglich anzweifelt oder mit Nichtwissen bestreitet, ohne konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Auskünfte vorzutragen.
5. Der Arbeitnehmer hat sich grundsätzlich nach Erhalt der Kündigung bei der Agentur für Arbeit arbeitsuchend zu melden und ihm unterbreiteten Vermittlungsangeboten nachzugehen. Ebenso darf er sich zu seiner Kenntnis gelangten geeigneten und zumutbaren Arbeitsstellen nicht verschließen und bei realistischer Aussicht auf eine zumutbare Beschäftigung nicht sehenden Auges untätig bleiben. Darüber hinausgehende besondere Anstrengungen zur Erlangung einer anderweitigen Beschäftigung muss er dagegen nicht unternehmen.
6. Dem sich auf den Einwand der Böswilligkeit berufenden Arbeitgeber obliegt auch die Darlegungslast dafür, welches konkrete anderweitige Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer im Falle einer Bewerbung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erlangt und welche konkrete, seinen Annahmeverzugslohnanspruch mindernde Vergütung er dort erzielt hätte.
Normenkette
ArbGG § 47; BGB § 615 S. 2, § 626 Abs. 1; KSchG § 11 Nr. 2; TVöD § 34 Abs. 2
Verfahrensgang
ArbG Ludwigshafen (Entscheidung vom 09.03.2023; Aktenzeichen 8 Ca 1124/20 2) |
Tenor
I. Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 09.03.2023, Az. 8 Ca 1124/20, unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten im Übrigen teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:
- Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.07.2020 noch durch die hilfsweise außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Beklagten vom 10.07.2020 zum 31.03.2021 aufgelöst worden ist.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 350,00 € brutto Jubiläumsprämie nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2020 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Juli 2020 einen Betrag von 12.083,33 € brutto abzgl. 2.562,60 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2020 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für August 2020 einen Betrag von 12.083,33 € brutto abzgl. 2.562,60 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.09.2020 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für September 2020 einen Betrag von 12.083,33 € brutto abzgl. 2.562,60 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.10.2020 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Oktober 2020 einen Betrag von 12.083,33 € brutto abzgl. 2.562,60 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.11.2020 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für November einen Betrag von 12.083,33 € brutto abzgl. 2.562,60 € netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2020 zu zahlen.
- Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Dezember 2020 einen Betrag von 12.083,33 € brutto abzgl. 2.562,60 € netto n...