Entscheidungsstichwort (Thema)
Anhörung des Betriebsrats. Beweislast. Darlegungslast. Insolvenz. Interessenausgleich. Namensliste. Anforderungen an Sachvortrag bezüglich der Betriebsratsanhörung
Leitsatz (redaktionell)
Der Arbeitgeber muss im Prozess bezüglich der streitigen Betriebsratsanhörung in der Regel darlegen, wann genau, durch wen, wem gegenüber und mit welchem genauen Inhalt dem Betriebsrat die Kündigungsabsicht mitgeteilt wurde. Das Zustandekommen eines Interessenausgleichs mit Namensliste macht die Anhörung gem. § 102 BetrVG nicht entbehrlich; die Anhörung unterliegt auch grundsätzlich keinen erleichterten Anforderungen.
Normenkette
BetrVG § 102; ZPO § 138; BetrVG § 111
Verfahrensgang
ArbG Kaiserslautern (Urteil vom 13.01.2005; Aktenzeichen 2 Ca 1818/04) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 13.01.2005 – 2 Ca 1818/04 – aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29.09.2004 beendet worden ist.
3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Lagerarbeiter weiter zu beschäftigten.
4. Die Beklagte hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis aufgrund einer ordentlichen Arbeitgeberkündigung sein Ende gefunden hat.
Der Kläger war seitdem 28.07.1975 bei der Beklagten bzw. ihrer Betriebsvorgängerin als Lagerarbeiter beschäftigt. Er verdiente zuletzt 1.800,00 EUR brutto. Der Kläger ist am 17.07.1959 geboren und ledig.
Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 29.09.2004 ordentlich zum 31.03.2005 gekündigt. Sie hat zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ca. 80 Mitarbeiter beschäftigt.
Die Beklagte hat mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan, jeweils am 23.03.2004, abgeschlossen. Hinsichtlich des Inhalts des Sozialplans wird auf Blatt 23 bis 29 der Akte Bezug genommen. Der Interessenausgleich enthält unter anderem folgende Regelung:
§ 1
Präambel
Die stagnierende wirtschaftliche Entwicklung und die sich daraus ergebende Situation des Unternehmens hat – wie sich insbesondere aus den Prognosen der gesamten Auftragslage für das Geschäftsjahr 2004, verbunden mit den Umsatzeinbußen in 2003 (– 46,6 % bez. 1.170 TEUR im Vergleich zu dem Vorjahr) bei unserem größten Abnehmer, der X AG ergibt – zu einer Existenzbedrohung des Unternehmens geführt. Geschäftsleitung und Betriebsrat haben gemeinsam diese eingetretene wirtschaftliche Situation und Lösungsmöglichkeiten dazu erörtert.
Daraus ergibt sich, dass
- die Belegschaft im Laufe des Jahres 2004 durch betriebsbedingte Kündigungen um maximal 20 Mitarbeiter (von derzeit 85) zu verringern ist.
- die Kapazitäten, die für die X AG freigehalten werden, mit dem Abbau der Mitarbeiter angepasst werden.
§ 2
Nachteilsausgleich
Zur Abschwächung der Nachteile, die den von dieser Maßnahme betroffenen Mitarbeitern entstehen, wird zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat ein Sozialplan (Betriebsvereinbarung Nr. 29) vereinbart.
Den vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Mitarbeitern wird die Möglichkeit eröffnet an einer betrieblichen Betreuungs- und Beschäftigungsmaßnahme teilzunehmen.
Ohne Überprüfung der Betriebsparteien über diese Möglichkeit ist dieser Interessenausgleich unwirksam.
§ 3
Auswahl
Die Auswahl der aus betriebsbedingten Gründen zu kündigenden Mitarbeiter wird von der Geschäftsleitung festgelegt. Die Auswahl dieser Mitarbeiter wird vom Betriebsrat nach sozialen Gesichtspunkten geprüft. Dadurch entfällt nicht die Anhörung des Betriebsrates nach § 102 BetrVG. …”
Als Anlage zum Interessenausgleich vom 23.03.2004 haben die Geschäftsleitung und der Betriebsrat eine Liste unterzeichnet, die eine „Auswahl der Mitarbeiter nach sozialen Kriterien (Kündigung)” enthält, hinsichtlich deren Inhalt auf Blatt 33 der Akte Bezug genommen wird. Der Kläger ist unter Nr. 12 in dieser Namensliste aufgeführt.
Die Beklagte hat den Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers mit Schreiben vom 21.09.2004 (Bl. 41 d.A.) angehört. Neben den Sozialdaten, der Kündigungsfrist, der derzeitigen Tätigkeit und dem Beendigungszeitpunkt enthält das Anhörungsschreiben, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Blatt 39 der Akte Bezug genommen wird, folgenden Inhalt:
„Kündigungsgrund:
wie in den Gesprächen zum Interessenausgleich ausführlich dargelegt.
Auswahl:
Die soziale Auswahl unter vergleichbaren Arbeitnehmern ist nach allen dem Arbeitgeber bekannten sozialen Gesichtspunkten (Betriebszugehörigkeit, Lebensalter, Familienstand, soziale Verpflichtungen) sowie unter Abwägung der betrieblich unbedingt notwendigen Belange erfolgt. …”
Der Kläger hat vorgetragen,
ein betriebsbedingter Kündigungsgrund sei von der Beklagten nicht ordnungsgemäß dargelegt worden. Sie könne sich vorliegend auch nicht...