Entscheidungsstichwort (Thema)
Sonderzahlung
Verfahrensgang
ArbG Halle (Saale) (Urteil vom 19.05.1994) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Halle vom 19.5.1994 – Az.: wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Klägerin eine tarifliche Sonderzahlung für das Jahr 1993 zusteht oder nicht.
Die Klägerin war vom 12.6.1973 bis zum 30.6.1993 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin beschäftigt. Ihr letztes monatliches Bruttoeinkommen betrug 2.900,– DM. Mit Schreiben vom 23.4.1993 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 30.6.1993 aus betriebsbedingten Gründen.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die auf 6 Beschäftigungsmonate bezogene anteilige Sonderzahlung nach Maßgabe des Manteltarifvertrages vom 26.5.1992, abgeschlossen zwischen dem genossenschaftlichen Arbeitgeberverband e.V. Niedersachsen/Bremen/Sachsen-Anhalt einerseits und der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherung. Landesbezirk Sachsen-Anhalt, und der Deutschen Angestelltengewerkschaft, Landesverband Sachsen-Anhalt, andererseits (im folgenden: MTV). Dieser Manteltarifvertrag fand auf das Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit Anwendung.
Die Klägerin stützt ihren Anspruch auf folgende Bestimmung des MTV:
§ 10 Sonderzahlung
Arbeitnehmer, die am 1.12. eines Kalenderjahres in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis stehen oder deren Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen gekündigt wurde, erhalten eine Sonderzahlung nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen:
Mit Schreiben vom 6.7.1993 machte die Klägerin diesen Anspruch gegenüber der Beklagten geltend; diese wies ihn mit Schreiben vom 13.7.1993 zurück.
Mit der vorliegenden Klage verlangt die Klägerin von der Beklagten die anteilmäßige Zahlung der Sonderzahlung für das Jahr 1993 in unstreitiger Höhe von 652,92 DM brutto. Sie hat die Auffassung vertreten, ihr stehe eine anteilmäßige Sonderzahlung gem. § 10 MTV zu.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 652,92 DM brutto nebst 4 % Zinsen ab dem 1.7.1993 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch nicht zu, weil dieser voraussetze, daß die Klägerin noch am 1.12.1993 bei ihr, der Beklagten, in einem ungekündigten oder betriebsbedingt gekündigten Arbeitsverhältnis gestanden hätte.
Mit Urteil vom 19.5.1994 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen, die Kosten des Verfahrens der Klägerin auferlegt und den Wert des Streitgegenstandes auf 652,92 DM festgesetzt.
Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Auslegung der tarifvertraglichen Bestimmungen ergebe, daß der Klägerin nur dann ein Anspruch auf Zahlung der Sonderzuwendung zugestanden hätte, wenn sie noch am 1.12.1993 in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten gestanden hätte. Für das Klagebegehren der Klägerin ergebe sich aus dem MTV keine Anspruchsgrundlage.
Gegen dieses ihr am 19.8.1994 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 19.9.1994 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 7.12.1994 am 6.12.1994 begründet.
Mit der – vom Arbeitsgericht zugelassenen – Berufung verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts … vom 19.5.1994 – … – abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 652,92 DM brutto nebst 4 % Zinsen ab dem 1.7.1993 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die infolge Zulassung durch das Arbeitsgericht statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist in der Sache unbegründet. Ihr steht kein Anspruch auf die tarifvertragliche Sonderzuwendung nach § 10 MTV zu.
I. Die Tarifnorm, auf die die Klägerin ihren Klageanspruch stützt, ist allerdings nicht eindeutig. Der zutreffende Inhalt der Anspruchsnorm ist deshalb im Wege der Auslegung zu ermitteln.
1. Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der sich die erkennende Kammer anschließt, den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut, wie vorliegend, nicht eindeutig ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Läßt diese Auslegungsmethode zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können – ohne Bindung an eine Reihenfolge – weitere Kriterien wie ...