Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewerber als Beschäftigter i.S.d. § 7 Abs. 1 AGG. Benachteiligung wegen des Geschlechts bei Stellenausschreibungen. Unions- und Verfassungsrechtskonformität der Stellenbesetzung mit einer weiblichen Gleichstellungsbeauftragten. Rechtfertigender Grund für eine geschlechtsspezifische Benachteiligung
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Bewerber gilt als Beschäftigter i.S.d. § 7 Abs. 1 AGG. Es kommt dabei nur auf einen formalen Bewerberstatus an, nicht auf die Beachtung etwaiger bei Bewerbungen üblichen Formalitäten oder auf die subjektive Ernsthaftigkeit der Bewerbung.
2. Ist eine Stelle für eine Gleichstellungsbeauftragte erkennbar nur für Frauen ausgeschrieben, ist ein männlicher Bewerber, der nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, wegen seines Geschlechts benachteiligt.
3. Die Kreisordnung Schleswig-Holstein (§ 2 Abs. 3 KrO-SH) gebietet die Besetzung der Gleichstellungsbeauftragten der Kreise mit einer Frau. Diese Regelung liegt in der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und dient dazu, die Durchsetzung der Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu fördern. Sie ist deshalb verfassungsgemäß und entspricht auch dem Unionsrecht.
4. Eine geschlechtsspezifische Benachteiligung ist gerechtfertigt, wenn der Grund der Benachteiligung wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Dies ist bei der Tätigkeit einer Gleichstellungsbeauftragten insbesondere bei der Wahrnehmung geschlechtsspezifischer Tätigkeiten ein wesentlicher Inhalt der ausgeschriebenen Stelle.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 2 S. 2; RL 2000/78/EG Art. 4 Abs. 1; RL 2006/54/EG Art. 14 Abs. 1 a; GRCh Art. 21, 23; EMRK Art. 14; AGG §§ 1, 7 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 15; GStG SH § 20; KrO SH § 2 Abs. 3
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 11.05.2017; Aktenzeichen 1 Ca 61 b/17) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 11.05.2017 - Az.: 1 Ca 61 b/17 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt nach erfolgloser Bewerbung auf die von dem beklagten Kreis ausgeschriebene Stelle als Gleichstellungsbeauftragte Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG.
Der beklagte Kreis (folgend: der Beklagte) schrieb am 26.9.2016 unter Hinweis auf § 2 der Kreisordnung Schleswig-Holstein (KrO) in Verbindung mit § 20 des Gleichstellungsgesetzes Schleswig-Holstein (GstG) die Stelle der Gleichstellungsbeauftragten zur Besetzung aus. Die Stellenausschreibung (Anlage K 2, Bl. 20 d. A.) war auch über die Homepage des Beklagten aufrufbar. Die Stellenausschreibung lautete auszugsweise:
"Der Kreis S. sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt
eine Gleichstellungsbeauftragte
Das sind Ihre Aufgaben:
Die Gleichstellungsbeauftragte nimmt die nach § 2 der Kreisordnung in Verbindung mit § 20 des Gleichstellungsgesetzes Schleswig-Holstein und § 4 der Hauptsatzung des Kreises vorgeschriebenen Aufgaben wahr.
Diese umfassen insbesondere
- die Beteiligung bei allen personellen, sozialen und organisatorischen Angelegenheiten auf die Gleichstellung von Frauen,
[...]
- Öffentlichkeitsarbeit einschließlich der Zusammenarbeit mit anderen Vereinen, Verbänden und Institutionen, um gleichstellungsrelevante Themen wahrzunehmen
[...]
Für diese Aufgaben benötigen Sie:
[...]
- eine abgeschlossene Ausbildung zur/zum Verwaltungsfachangestellten der Fachrichtung Kommunalverwaltung, [...]
Das bieten wir Ihnen:
[...]
- Chancengleichheit von Frauen und Männern, Menschen mit Behinderungen und Bewerber/innen mit Migrationshintergrund sind für uns selbstverständlich
[...]"
Ausweislich der veröffentlichten Tätigkeitsberichte der Gleichstellungsbeauftragten des Beklagten für die jeweiligen Berichtszeiträume von Januar 2009 bis August 2015 (Anlagen K 1, Bl. 286 - 293 d. A.; Anlagen K 3 - K 8, Bl. 296 - 367 d. A.) gehört auch die Funktion einer "Ansprechpartnerin für Beratungen der Mitarbeiter/-innen der Kreisverwaltung im Falle von Konflikten und anderen Herausforderungen" zum Aufgabengebiet der Gleichstellungsbeauftragten des Beklagten. Laut einer beim Beklagten geltenden Dienstvereinbarung ist die Gleichstellungsbeauftragte Ansprechpartnerin im Umgang mit sexueller Belästigung (Anlage 3, Bl. 135 - 140 d. A.). Außerdem gehört ausweislich der Tätigkeitsberichte die Wahrnehmung von Netzwerkarbeit u. a. in dem Netzwerk "fif-Frauen in Führung und Verantwortung" sowie im Kommunalpolitischen Frauennetzwerk "KOPF S." zum Aufgabenkreis der Gleichstellungsbeauftragten des Beklagten.
Mit E-Mail vom 24.10.2016 (Anlage K 3, Bl. 22 d. A.) nebst Anlagen (Anlage K 4 bis K 25, Bl. 23 - 65 d. A.) bewarb sich der Kläger auf die ausgeschriebene Stelle unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung. In seinem Bewerbungsschreiben schrieb der Kläger u. a.:
"Die Gleichstellung von Frau und Mann, Mann und Frau, Behinderten, Ausländern, Menschen mit Migrationshintergrund, ist mir eine Passion. Die Gleichstellungsarbeit, Projektarbeit und Öffentlichkeitsarbeit ist mir aus meiner ehrenamtlic...