Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausbildungsvergütung. Tarifvertrag. rückwirkende Änderung (Absenkung). Vertrauensschutz. Unterrichtung des Auszubildenden vor Fälligkeit des Anspruchs
Leitsatz (amtlich)
Die Tarifvertragsparteien können einen Tarifvertrag zur Regelung der Ausbildungsvergütung rückwirkend ändern. Die Änderung (Absenkung der Ausbildungsvergütung) erfaßt den Ausbildungsvergütungsanspruch, sofern dieser noch nicht fällig geworden ist und der Auszubildende von der Änderung unterrichtet war.
Normenkette
TVG § 1; GG Art. 14
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Urteil vom 28.05.1997; Aktenzeichen 5b Ca 3118/96) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 28.05.1997 geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf restliche Ausbildungsvergütung in Höhe von 281,41 DM brutto für September 1996 gegen die Beklagte hat.
Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 28.05.1997 nebst dessen Verweisungen Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat dem Zahlungsbegehren der Klägerin mit der Begründung entsprochen, daß der Ausbildungsvertrag der Parteien mit dem 25.09.1995 begründet worden sei, als der fragliche Ausbildungsvergütungs-Tarifvertrag Nr. 9 noch Geltung gehabt habe. Der Schutzgedanke der in § 4 Abs. 5 TVG geregelten Weitergeltung der Rechtsnormen eines abgelaufenen Tarifvertrages sei nicht auf Arbeitsverhältnisse begrenzt, die noch während der Geltung des Tarifvertrages in Vollzug gesetzt worden seien.
Gegen dieses ihr am 29.10.1997 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 19.11.1997 Berufung eingelegt und diese, nachdem die Berufungsbegründungsfrist bis zum 02.01.1998 verlängert worden war, am 30.12.1997 begründet.
Die Beklagte trägt vor:
Die Tarifvertragsparteien hätten sich per 27.02.1997 darauf geeinigt, daß mit rückwirkendem Inkrafttreten des Ausbildungsvergütungstarifvertrages zum 01.05.1996 für Auszubildende für den Beruf des Sozialfachangestellten, deren Ausbildungsverhältnis nach dem 30.04.1996 begonnen habe, im ersten Ausbildungsjahr eine monatliche Vergütung in Höhe von 1.057,35 DM brutto gegeben sei. Unter diese tarifliche Regelung falle auch die Klägerin, deren Ausbildungsverhältnis bei der Beklagten am 01.08.1996 begonnen habe. Durch den rückwirkenden Abschluß des jetzt gültigen Tarifvertrages entfalle eine Nachwirkung.
Die Beklagte beantragt
das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 28.05.1997 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor:
Für bereits entstandene und fällig gewordene, aber noch nicht abgewickelte Ansprüche könne eine Rückwirkung einer tariflichen Regelung nicht wirksam werden. Entscheidend sei, daß für Ansprüche, die in den Rückwirkungszeitraum fielen, der Eigentumsschutz aus Art. 14 GG bestehe. Den Tarifvertragsparteien stehe nicht das Recht eines enteignungsgleichen Eingriffs in das Eigentum der Klägerin zu. Die Frage eines Vertrauensschutzes stelle sich nicht, da ein Vertrauen auf einen Verzicht in belastende Eingriffe in die Vergütung nicht entwickelt werden könne.
Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens im Berufungsrechtszuge wird auf den vorgetragenen Inhalt der vorbereitend gewechselten Schriftsätze der Parteien Bezug genommen.
Ergänzend wird auf den Akteninhalt verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig und auch begründet.
Entgegen dem angefochtenen Urteil ist die Berufungskammer der Auffassung, daß die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung restlicher Ausbildungsvergütung in Höhe von 281,41 DM brutto für den Monat September 1996 gegen die Beklagte hat. Nach dem einschlägigen Manteltarifvertrag für Auszubildende vom 27.02.1997 (im folgenden: TV AusbVerg), gültig ab 01.05.1996, hat die Ausbildungsvergütung der Klägerin im September 1996 1.057,53 DM brutto betragen. Die rückwirkende Absenkung der Ausbildungsvergütung durch die Tarifvertragsparteien ist wirksam.
Tarifvertragliche Regelungen tragen auch während der Laufzeit des Tarifvertrages den immanenten Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit durch Tarifvertrag in sich. Dies gilt auch für bereits entstandene und fällig gewordene, noch nicht abgewickelte Ansprüche, die aus einer Tarifnorm folgen; diese genießen keinen Sonderschutz gegen eine rückwirkende Veränderung. Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen ist durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der Normunterworfenen begrenzt; es gelten insoweit die gleichen Regeln wie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Rückwirkung von Gesetzen. Der Vertrauensschutz in den Fortbestand einer tariflichen Regelung entfällt, wenn die Tarifvertragsparteien eine „gemeinsame Erklärung” über den Inhalt der Ta...