Entscheidungsstichwort (Thema)
Unwirksame außerordentliche Kündigung eines Einzelbetriebsrats wegen Weitergabe von Rechtsanwaltsrechnungen und Zeiterfassungsunterlagen an ein Betriebsratsmitglied eines anderen Konzernunternehmens
Leitsatz (redaktionell)
1. Ein Arbeitnehmer verstößt gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten, wenn er ohne bestimmten Arbeitsauftrag in allen im betrieblichen Computerprogramm (“SAP-System„) auffindbaren Rechtsanwaltsrechnungen inhaltlich stöbert, diese ausdruckt und einem Betriebsratsmitglied eines anderen Konzernunternehmens zur Kenntnis bringt.
2. Für einen Einzelbetriebsrat stellt das Ausdrucken von Rechnungen und Zeiterfassungsunterlagen (“Time Sheets„) einer bestimmten Kanzlei und das Zeigen und Erörtern dieser Rechnungen nebst Zeiterfassungsunterlagen gegenüber einem Betriebsratsmitglied eines Konzernunternehmens keinen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung gemäß § 15 Abs. 1 KSchG und § 626 Abs. 1 BGB dar, wenn der Betriebsrat nach seiner SAP-Zugriffsberechtigung alle Dokumente anschauen und lesen darf und seine SAP-Zugriffsberechtigung nicht eingeschränkt ist; bleibt die Arbeitgeberin insoweit untätig und setzt sie dem Betriebsrats keinerlei Grenzen für eine Zugriffsmöglichkeit und für ein Lesen der Inhalte von Unterlagen mit sensiblem Inhalt, liegt keine schwerwiegende Pflichtverletzung vor.
3. Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sind Tatsachen, die im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb stehen, nicht offenkundig sondern nur einem eng begrenzten Personenkreis bekannt sind, und nach dem bekundeten Willen der Betriebsinhaberin geheim gehalten werden sollen, wenn diese an deren Geheimhaltung ein berechtigtes Interesse hat; Betriebsgeheimnisse beziehen sich auf den technischen Betriebsablauf (insbesondere Herstellung und Herstellungsverfahren) und betreffen den allgemeinen Geschäftsverkehr des Unternehmens.
4. Enthalten Rechnungen und Zeiterfassungsunterlagen einer Rechtsanwaltskanzlei weder Betriebs- noch Geschäftsgeheimnisse sondern lediglich sensible Inhalte, und fehlt jegliche Bekundung des Willens der Betriebsinhaberin, dass die Inhalte geheim zu halten sind und besteht kein Vertraulichkeitsvermerk und zum Zeitpunkt des Vorfalls auch keine Einschränkung der SAP-Zugriffsberechtigung, ist unter jedem erdenklichen Gesichtspunkt das Vorliegen eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses, das der Betriebsrat verletzt haben könnte, zu verneinen.
5. Soweit die betriebsverfassungsrechtliche Geheimhaltungsverpflichtung gemäß § 79 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht gegenüber Mitgliedern des Betriebsrats gilt, kann die Zugehörigkeit eines Betriebsrats zur Unternehmensgruppe sowie eine von Unternehmensseite gewünschte und geförderte Unterstützung und Zusammenarbeit beider Gremien nicht unberücksichtigt bleiben; auch vor diesem Hintergrund liegt keine Verletzung der betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten durch Weitergabe von Rechtsanwaltsrechnung vor.
Normenkette
KSchG § 15; BGB § 626 Abs. 1, § 241 Abs. 1; KSchG § 15 Abs. 1; BBetrVG § 79 Abs. 1 S. 3
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 02.10.2014; Aktenzeichen 3 Ca 830 b/14) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 02.10.2014 - 3 Ca 830 b/14 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist erklärten außerordentlichen Kündigung sowie um die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Der Kläger ist am ....1981 geboren und seit dem 30.01.2012 als Direktmarketing Manager S... tätig. Seine Zugriffsrechte zum SAP-System waren zunächst uneingeschränkt. Er erhielt durchschnittlich 5.629,48 Euro brutto monatlich. Es wurde ein schriftlicher Arbeitsvertrag sowie eine Verschwiegenheitsvereinbarung in Bezug auf Geschäftsgeheimnisse der Beklagten und der mit ihr verbundenen Unternehmen unterzeichnet.
Bei der Beklagten handelt es sich um ein Unternehmen der H...-Gruppe. Sie ist primär im skandinavischen Raum im Weinversandhandel tätig und beschäftigt regelmäßig rund 11 Vollzeitkräfte.
Der Kläger wurde im Oktober 2013 zum Einzelbetriebsrat bei der Beklagten gewählt. Zwecks Einarbeitung, Austausch und Unterstützung als Betriebsrat verwies die Beklagte den Kläger an den bei der H... GmbH gebildeten Betriebsrat. Dieser hat den Kläger in Fragen des Betriebsverfassungsrechts beraten und stand ihm als Ansprechpartner zur Verfügung. Beide Betriebe sind in einem Gebäude untergebracht und haben z.T. dasselbe Führungspersonal.
Der Kläger erhielt von einer Kollegin den Arbeitsauftrag, die Rechtsberatungskosten der Beklagten in Bezug auf ein anhängiges gerichtliches Verfahren in S... aus dem SAP-System zusammenzustellen, da sich die Beklagte einen Überblick über die bisherigen Kosten der Rechtsberatung verschaffen wollte. Die Beklagte hatte in dem Verfahren ausschließlich die schwedische Kanzlei M... beauftragt.
In Erfüllung der ihm zugewiesenen Aufgabe stieß der Kläger - warum auch immer - auf in...