Entscheidungsstichwort (Thema)
Außerordentliche Tat- und Verdachtskündigung. Verhältnismäßigkeitsprüfung. Betriebsratsanhörung
Leitsatz (redaktionell)
1. Nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen.
2. Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat im Rahmen der Anhörung eindeutig mitzuteilen, auf welchem konkreten kündigungsrelevanten Sachverhalt, ggf. auf welche alternativen oder kumulativen Sachverhalte er die beabsichtigte Kündigung stützen will.
Normenkette
BGB § 626; KSchG § 1 Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Urteil vom 02.03.2005; Aktenzeichen 4 Ca 1814 e/04) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 02.03.2005, Az. 4 Ca 1814 e/04, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitgegenständlich ist eine von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche – hilfsweise fristgerechte – Kündigung der Beklagten.
Die 46-jährige Klägerin ist bei der Beklagten als Verkäuferin in Teilzeit zu einem derzeitigen Bruttomonatsgehalt von EUR 1.473,22 beschäftigt. Sie ist seit dem 01.07.2003 der Abteilung Kinderkonfektion (KiKo) zugeteilt. Die Verkäuferinnen – so auch die Klägerin – werden ebenfalls, ungeachtet ihrer Zuteilungen zu den einzelnen Abteilungen, an den einheitlichen Kassen eingesetzt.
Am 19.08.2004 war die Klägerin an der Kasse eingesetzt, als eine Verkäuferin aus der Abteilung Damenoberbekleidung (DOB) an ihrer Kasse einen Personaleinkauf tätigen wollte. Sie legte wortlos der Klägerin zwei Tops à EUR 9,95 und ein langärmeliges T-Shirt à EUR 24,95 jeweils der Marke Esprit zum Bezahlen vor. Ohne dass sie hierzu von der Zeugin E. aufgefordert worden war, nahm die Klägerin Preisreduzierungen auf den Etiketten der beiden Tops von EUR 9,95 auf EUR 7,– und des T-Shirts von EUR 24,95 auf EUR 20,– vor. Auf den sich hierdurch ergebenden Gesamtrechnungsbetrag von EUR 34,– gewährte sie der Zeugin E. einen Personalrabatt von 15 %.
Am darauf folgenden 20.08.2004 wurden die Klägerin und die Zeugin E. jeweils getrennt in Anwesenheit des Personalreferenten B., des Betriebsorganisators F., der Abteilungsleiterin DOB A. und des Betriebsratsvorsitzenden L. zu dem Vorwurf der Preismanipulation angehört. Die Klägerin wies die Anschuldigung zurück und bestritt, der Zeugin E. einen Freundschaftspreis gewährt zu haben. Vielmehr sei sie davon ausgegangen, dass es sich um Sommerware gehandelt habe, bei denen die Preisreduzierung vergessen worden sei. Wegen des genauen Inhalts der Anhörung der Klägerin wird auf das Gesprächsprotokoll vom 20.08.2004 verwiesen (Bl. 34-36 d.GA.). Die Anhörung wurde unterbrochen, um die Zeugin E. anzuhören. Die Zeugin E. erklärte auf den Vorhalt, dass es sich eindeutig um neue Ware gehandelt habe, und warum sie trotzdem nichts gesagt habe, dass sie in der Vergangenheit gesehen habe, dass die Klägerin an Waren Preise geändert und dann in die Rücklage gelegt habe, um sie später an der Kasse, wo die Preise nicht mehr geprüft würden, zu kaufen (Bl. 37 f. d. GA.). Danach wurde die Klägerin nochmals hereingerufen und ihr vorgehalten, sie habe Ware für den Eigenbedarf reduziert, in die Rücklage gelegt und später gekauft, sie die Beklagte, werde schon jemanden finden, der sie, die Klägerin, dabei beobachtet habe. Die Klägerin antwortete, dass sie so etwas noch nie gemacht und auch kein schlechtes Gewissen habe. Im Anschluss an die Anhörung wurde die Klägerin bis zur Urlaubsrückkehr des Geschäftsführers T. freigestellt. Die ebenfalls vernommenen Kolleginnen der Klägerin W. und S. bestätigten den Vorwurf, die Klägerin habe Ware zum Eigenbedarf reduziert und in die Rücklage gebracht, nicht (Bl. 41, 42 d. GA.). Am 24.08.2004 hörte der Geschäftsführer T. sowohl die Klägerin und am 25.08.2004 nochmals die Zeugin E. zum Vorwurf der Preismanipulation an (Bl. 43, 44 f. d. GA.).
Mit Schreiben vom 23.08.2004 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung der Klägerin unter Beifügung der am 20.08.2004 gefertigten Gesprächsprotokolle an. Nachträglich setzte die Beklagte den Betriebsrat über den Inhalt der am 24. und 25.08.2004 erfolgten Anhörungen der Klägerin und der Zeugin E. in Kenntnis. Der Betriebsrat widersprach am 25.08.2004 der außerordentlichen und stimmte der fristgemäßen Kündigung zu.
Mit Schreiben vom 26.08.2004 sprach die Beklagte gegenüber der Klägerin die streitgegenständliche fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung zum 31.10.2005 aus.
Wegen des weiteren, insbesondere streitigen Vorbringens der Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils nebst den dortigen Inbezugnahmen Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsklage der Klägerin mit den Anträg...