Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit einstweiliger Verfügungen im Arbeitskampfrecht (Anforderungen an Verfügungsgrund und -anspruch). Tarifliche Friedenspflicht und Arbeitskampf. Unterlassungsanspruch gegen rechtswidrige Streikmaßnahmen. Recht des Arbeitgebers am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb. Auslegung einer tariflichen Protokollnotiz (Auslegungsgrundsätze)

 

Normenkette

ZPO §§ 935, 940; GG Art. 9 Abs. 3; BGB § 823 Abs. 1; EFZG §§ 3, 4a; TVG § 1

 

Verfahrensgang

ArbG Lübeck (Urteil vom 03.12.1996; Aktenzeichen 1 Ga 48/96)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 03.12.1996 – Az.: 1 Ga 48/96 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren um die Rechtmäßigkeit der Untersagung von Arbeitskampfmaßnahmen in dem Betrieb und Unternehmen der Klägerin in Lübeck.

Wegen des Sach- und Streitstandes, wie er in erster Instanz vorgelegen hat, wird gem. § 543 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Klägerin auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung stattgegeben und dies im wesentlichen wie folgt begründet:

Die einstweilige Verfügung sei zulässig; insbesondere sei das angerufene Arbeitsgericht für die Entscheidung des Rechtsstreits örtlich zuständig.

Der Antrag sei auch begründet.

Der Streikaufruf der Beklagten sei rechtswidrig. Zwischen den Tarifparteien bestehe noch Friedenspflicht. § 10 Ziff. 1 des MTV sei nicht durch die Protokollnotiz Nr. 2 außer Kraft gesetzt worden, da das neue Entgeltfortzahlungsgesetz nur neue Regelungen zur Höhe, nicht zur Dauer des Entgeltfortzahlungsanspruchs im Krankheitsfall enthalte.

Das Wort „und” in der Protokollnotiz könne nur kumulativ in dem Sinn verstanden werden, daß neue gesetzliche Regelungen zur Dauer und Höhe vorliegen müßten. § 3 Abs. 3 EFZG n. F. enthalte keine Regelung zur Dauer, sondern regele eine Anspruchsvoraussetzung; die Dauer des Anspruchs bleibe unberührt.

Auch § 4 a Abs. 1 EFZG n. F. treffe keine Regelung zur Dauer. Die Verweisung in § 4 a Abs. 1 S. 3 EFZG verkürze den Sechswochenzeitraum nicht.

Der Streikaufruf sei auch deshalb rechtswidrig, weil er gegen das ultima-ratio-Prinzip verstoße; denn die Beklagte hätte nach § 16 MTV vorher das Tarif Schiedsgericht anrufen müssen. Die hier streitige Frage, ob § 10 Ziff. 1 des MTV noch gelte, sei ein Auslegungsstreit i. S. des § 16 MTV.

Auch der Verfügungsgrund sei gegeben.

Im übrigen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte am 6. Dezember 1996 Berufung eingelegt und diese am 9. Dezember 1996 begründet.

Die Beklagte greift das Urteil nach Maßgabe ihres Schriftsatzes vom 09.12.1996 (Bl. 133–146 d. A.) an und wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 03.12.1996 zum Az. 1 Ga 48/96 aufzuheben und den Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung wiederholt sie ihre Ausführungen in dem Parallelverfahren Van Houten (6 Sa 577/96) und verteidigt die angefochtene Entscheidung.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsrechtszuge wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der vorbereitend gewechselten Schriftsätze und Anlagen Bezug genommen.

Ergänzend wird auf den Akteninhalt verwiesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig.

Sie ist der Beschwer nach statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

In der Sache konnte die Berufung jedoch keinen Erfolg haben.

Das angefochtene Urteil steht im Einklang mit der Rechtsprechung der erkennenden Berufungskammer zu den hier strittigen Fragen.

Der Antrag auf Erlaß der begehrten einstweiligen Verfügung ist zulässig.

Auf die Frage der örtlichen Unzuständigkeit des Gerichts erster Instanz kommt es im Berufungsrechtszuge nicht mehr an (§ 512 a ZPO). § 512 a ZPO ist hier auch anwendbar; denn der Rechtsstreit hat im Hinblick auf seine nicht unerheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen und das mit dem Arbeitskampf verfolgte Ziel unmittelbar vermögensrechtlichen Hintergrund.

Der Antrag ist auch sonst zulässig. Insbesondere kann das Antragsbegehren in der gewählten Verfahrensart verfolgt werden.

Der Erlaß einer einstweiligen Verfügung des hier beantragten Inhalts richtet sich nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 935 ff. ZPO. Die verfassungsrechtlich garantierte Arbeitskampffreiheit schließt einstweilige Anordnungen nicht aus und macht sie auch nicht davon abhängig, daß die angegriffene Kampfmaßnahme offensichtlich unzulässig sein oder als Extremfall unrechtmäßigen und existenzbedrohenden Vorgehens beurteilt werden muß. Die Anforderungen an den Erlaß einer einstweiligen Verfügung richten sich vielmehr nach den auch für sonstige Unterlassungsverfügungen entwickelten Grundsätzen. Wenn ein Anspruch auf Unterlassung einer Handlung derart ze...

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