Entscheidungsstichwort (Thema)

betriebsbedingte Kündigung. Betriebsstillegung. Mißbrauchskontrolle. dringende betriebliche Erfordernisse

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die betrieblichen Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG beziehen sich wie die betrieblichen Bedürfnisse in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG a.F. und das betriebliche Interesse in § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG n.F. auf den Betrieb im betriebswirtschaftlichen Sinne. Es ist deshalb nicht gerechtfertigt, eine außerhalb des § 1 Abs. 2 KSchG stehende unternehmerische Ebene anzunehmen, auf der die Entscheidungen fallen, die auf einer betrieblichen Ebene als Gründe einer betriebsbedingten Kündigung grundsätzlich hinzunehmen sind.

2. Bei der Prüfung der sozialen Rechtfertigung von betriebsbedingten Kündigungen ist dem Arbeitgeber ein relativ breiter Spielraum für business judgement einzuräumen.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

ArbG Neumünster (Urteil vom 04.03.1998; Aktenzeichen 1b Ca 890/97)

 

Tenor

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 4.3.1998 – 1b Ca 890/97 – wird abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits – beider Instanzen – zu tragen.

 

Tatbestand

I. Die zulässige Berufung ist begründet.

Die Kündigung mit Schreiben vom 11.3.97 war nicht gemäß § 1 Abs. 1 des im vorliegenden Fall anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) unwirksam; denn sie war sozial gerechtfertigt.

Gemäß § 1 Abs. 2 KSchG ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.

Die Kündigung der Klägerin war durch dringende betriebliche Erfordernisse, die ihrer Weiterbeschäftigung in dem Betrieb der Beklagten entgegenstanden, bedingt.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) gehört die Stillegung des gesamten Betriebes durch den Arbeitgeber zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können. Es kommt auch eine Kündigung wegen beabsichtigter Stillegung in Betracht. Wird die Kündigung auf die künftige Entwicklung der betrieblichen Verhältnisse gestützt, so kann sie ausgesprochen werden, wenn die betrieblichen Umstände greifbare Formen angenommen haben und eine vernünftige, betriebswirtschaftliche Betrachtung die Prognose rechtfertigt, daß bis zum Auslaufen der einzuhaltenden Kündigungsfrist eine geplante Maßnahme durchgeführt ist und der Arbeitnehmer somit entbehrt werden kann. (Siehe BAG, Urteil vom 19.6.91 – 2 AZR 127/91 – EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 70). Will der Arbeitgeber als betriebsbedingten Kündigungsgrund seinen Entschluß zur Betriebsstillegung anführen und ist bestritten, daß dieser Stillegungsbeschluß im Kündigungszeitpunkt gefaßt gewesen sei, so muß er substantiiert darlegen, daß und zu welchem Zeitpunkt er diejenigen organisatorischen Maßnahmen, die sich rechtlich als Betriebsstillegung darstellen, geplant hat. (BAG, a.a.O.)

Im vorliegenden Fall hat die Beklagte in zweiter Instanz zahlreiche Dokumente vorgelegt, aus denen sich ergibt, daß sie Anfang März 1997 und damit vor Ausspruch der Kündigung die organisatorischen Schritte für eine Stillegung des Produktionsbetriebes zum 31.5.97 in die Wege geleitet hat. Dies wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht auch von der Klägerin nicht mehr in Zweifel gezogen.

Das ergänzende Vorbringen der Beklagten zur Stillegungsabsicht ist nicht als verspätet zurückzuweisen, da die Zulassungsvoraussetzungen des § 67 Abs. 1, 1. Alt., und Abs. 2 Satz 1 ArbGG erfüllt sind.

Daß Arbeitnehmer, bei denen längere Kündigungsfristen als im Fall der Klägerin zu beachten waren, noch über den 31.5.97 hinaus beschäftigt worden sind, macht die Kündigung gegenüber der Klägerin nicht unwirksam. (Siehe dazu auch BAG, Urteil vom 11.3.98 – 2 AZR 414/97 –.)

Da die Beklagte die gänzliche Stillegung des Produktionsbetriebes beabsichtigte, mußte sie auch nicht darlegen, daß nach dem 31.5.97 für die Klägerin nach der Auftragslage kein Beschäftigungsbedürfnis bestand.

b) Allerdings muß der Arbeitgeber nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von sich aus dem Arbeitnehmer eine beiden Parteien zumutbare Weiterbeschäftigung auf einem freien Arbeitsplatz auch zu geänderten Bedingungen anbieten. Unterläßt es der Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer vor Ausspruch einer Beendigungskündigung ein mögliches und zumutbares Änderungsangebot zu unterbreiten, dann ist die Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer einem vor der Kündigung gemachten entsprechenden Vorschlag zumindest unter Vorbehalt zugestimmt hätte (BAG, Urteil vom 27.9.84 – 2 AZR 62/83 – EzA § 2 KSchG Nr. 5). Besitzt der Arbeitnehmer nicht die für den freien Arbeitsplatz erforderliche Qualifikation, kommt es darauf an, ob sie ihm durch zumutbare Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen vermittelt wer...

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