Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Verfügung im Arbeitskampf. Gerichtliche Hilfe zur Einsetzung eines Notdienstes während eines Streiks. Anforderungen an den Erlass einer einstweiligen Verfügung
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch im Arbeitskampf zulässig. Das Gericht muss aber einen strengen Maßstab anlegen, da sich die Kampfparität dadurch verschiebt. Der Anspruch auf Unterlassung von Streikmaßnahmen folgt grundsätzlich aus §§ 1004, 823 BGB i.V.m. Art. 14 Abs. 1 GG.
2. Ein Streik, der unter Außerachtlassung eines jeglichen Notdienstes durchgeführt wird, ist in der Regel rechtswidrig. Besteht Streit über das "Ob" und das "Wie" eines Notdienstes während der Streikmaßnahmen, kann das dazu angerufene Gericht eine Notdienstregelung treffen. Ein solches gerichtliches Eingreifen in die Arbeitskampffreiheit bedarf der besonderen Dringlichkeit und ist auf das unerlässliche Maß zu beschränken.
3. Für den Erlass einer einstweiligen Verfügung bei Streiks müssen stets - wie auch in allen anderen Fallgestaltungen - ein Verfügungsgrund und ein Verfügungsanspruch des Verfügungsklägers vorliegen. Haben noch keine Streikmaßnahmen begonnen, fehlt es an diesen Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung auf Einsetzung eines Notdienstes.
Normenkette
GG Art. 9 Abs. 3, Art. 14 Abs. 1; BGB § 823 Abs. 1, § 1004; ZPO §§ 935, 945
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 15.10.2020; Aktenzeichen 5 Ga 13 d/20) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 15.10.2020 - 5 Ga 13 d/20 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Tatbestand
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Einrichtung eines Notdienstes für die Objektsicherungsdienste - hier in dem stillgelegten Kernkraftwerk B....
Die Verfügungsklägerin (Klägerin) ist ein Unternehmen der Sicherheitswirtschaft und Mitglied der Landesgruppe S... H... des B... d... S... (BDSW).
Die Verfügungsbeklagte zu 1. (Beklagte zu 1.) ist die tarifzuständige Gewerkschaft für den Bereich der Sicherheitswirtschaft, die Verfügungsbeklagte zu 2. (Beklagte zu 2.) ihr für das Bundesland S... H... zuständiger Landesbezirk. Die Beklagte zu 2. schließt mit der Landesgruppe S... H... des BDSW Tarifverträge. Die Landesbezirke der Beklagten zu 1. sind ermächtigt, mit den Mitgliedsunternehmen des BDSW Notdienstvereinbarungen abzuschließen.
Betreiberin der stillgelegten Kernkraftwerke ist die Firma V... über die zu ihr gehörende "Kernkraftwerk B... GmbH & Co. oHG".
Die Klägerin hat mit der Kernkraftwerk B... GmbH & Co. für die Zeit ab dem 01.01.2020 einen Dienstleistungsvertrag abgeschlossen. Bis zum 31.12.2019 war die T... Sicherheitsdienstleistungen GmbH (T...) Vertragspartner dieses Bewachungsvertrages. Zum Jahreswechsel 2019/2020 erfolgte eine Auftragsnachfolge nebst Betriebsübergang auf die Klägerin.
Vertragsgegenstand des Dienstleistungsvertrages ist der Objektsicherungsdienst (OSD) und der Feuerwehrdienst in dem zwischenzeitlich stillgelegten Kernkraftwerk sowie in dem dort bestehenden Zwischenlager. In den Leistungsbeschreibungen des Vertrages heißt es auszugsweise:
"Notdienstpersonal
- Im Falle von Streikandrohungen muss eine Notdienstmannschaft in Mindestbesetzung verfügbar sein
- Mindestbesetzung gem. Notdienstplan und einer abzuschließenden Notdienstvereinbarung im Anforderungsfall"
Zeitnah zum Abschluss dieses Dienstleistungsvertrages nahm die Klägerin keinerlei Kontakt zu den Beklagten zum Abschluss einer Notdienstvereinbarung auf.
Das Kernkraftwerk B... sowie das dortige Zwischenlager sind atomrechtliche Anlagen im Sinne des § 7 AtomG. Für sie gelten die vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bekanntgemachten Richtlinien über Anforderungen an den Objektsicherungsdienst und an Objektsicherungsbeauftragte in kerntechnischen Anlagen und Einrichtungen vom 04.07.2008. In deren Ziffer 6 ist unter anderem geregelt:
6. Verpflichtung von Bewachungsunternehmen
Der Antragsteller/Genehmigungsinhaber kann die Wahrnehmung der Aufgaben des Objektsicherungsdienstes einem Bewachungsunternehmen übertragen. In diesem Fall hat er bei Vertragsverletzung seitens des Bewachungsunternehmens, die die Sicherung und den Schutz der Anlage gefährden können, sofort Vorkehrungen zu treffen, um die Anlagensicherung zu gewährleisten. Die Verantwortung des Antragstellers/ Genehmigungsinhabers, durch Sicherungsmaßnahmen den erforderlichen Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter zu gewährleisten, bleibt auch im Fall der Beauftragung eines betriebsfremden Bewachungsunternehmens in vollem Umfang bestehen.
Verträge mit Bewachungsunternehmen für Anlagen müssen unter anderem enthalten:
- Vereinbarungen über Erfüllung der in dieser Richtlinie enthaltenen Forderungen oder, soweit der Genehmigungsinhaber selbst Teilaufgaben wahrnimmt, die genaue Bezeichnung der übernommenen Aufgaben und die Verpflichtung, bei verschärfter Gef...