Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Verfügung im Arbeitskampf. Eilbedürftigkeit als Verfügungsgrund
Leitsatz (redaktionell)
1. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung im Arbeitskampf ist zulässig. Dabei ist durch das Gericht ein strenger Maßstab anzulegen, da sich die Kampfparität durch eine Eilmaßnahme verschieben kann. Zulässige Arbeitskampfmaßnahmen sind nicht rechtswidrig und beinhalten keinen Verfügungsanspruch der Gegenseite.
2. Wenn bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung kein Streikaufruf, kein Warnstreik und keine Streikaktivitäten irgendeiner Art aufgetreten sind, ist eine Eilbedürftigkeit für den einstweiligen Rechtsschutz bezüglich eines möglichen zukünftigen Streiks nicht zu bejahen; es fehlt der Verfügungsgrund der Eilbedürftigkeit. Auch die Mitteilung der Gewerkschaft, dass Arbeitskampfmaßnahmen ab einem bestimmten Datum nicht auszuschließen sind, reicht für die Annahme eines Verfügungsgrundes nicht aus.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 14; BGB §§ 823, 1004; ZPO § 935
Verfahrensgang
ArbG Lübeck (Entscheidung vom 14.10.2020; Aktenzeichen 7 Ga 15/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Lübeck vom 14.10.2020 - 7 Ga 15/20 - abgeändert:
Der Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits (beide Instanzen) trägt die Klägerin.
Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Tatbestand
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Einrichtung eines Notdienstes für die Objektsicherungsdienste - hier in dem stillgelegten Kernkraftwerk K....
Die Verfügungsklägerin (Klägerin) ist ein Unternehmen der Sicherheitswirtschaft und Mitglied der Landesgruppe S... H... des B... d... S... (BDSW).
Die Verfügungsbeklagte zu 1. (Beklagte zu 1.) ist die tarifzuständige Gewerkschaft für den Bereich der Sicherheitswirtschaft, die Verfügungsbeklagte zu 2. (Beklagte zu 2.) ihr für das Bundesland S... H... zuständiger Landesbezirk. Die Beklagte zu 2. schließt mit der Landesgruppe S... H... des BDSW Tarifverträge. Die Landesbezirke der Beklagten zu 1. sind ermächtigt, mit den Mitgliedsunternehmen des BDSW Notdienstvereinbarungen abzuschließen.
Betreiberin der stillgelegten Kernkraftwerke ist die Firma V... über die zu ihr gehörende "Kernkraftwerk K... GmbH & Co. oHG".
Die Klägerin hat mit der Kernkraftwerk K... GmbH & Co. für die Zeit ab dem 01.01.2020 einen Dienstleistungsvertrag abgeschlossen. Bis zum 31.12.2019 war die T... Sicherheitsdienstleistungen GmbH (T...) Vertragspartner dieses Bewachungsvertrages. Zum Jahreswechsel 2019/2020 erfolgte eine Auftragsnachfolge nebst Betriebsübergang auf die Klägerin.
Vertragsgegenstand des Dienstleistungsvertrages ist der Objektsicherungsdienst (OSD) und der Feuerwehrdienst in dem zwischenzeitlich stillgelegten Kernkraftwerk sowie in dem dort bestehenden Zwischenlager. In den Leistungsbeschreibungen des Vertrages heißt es auszugsweise:
"Notdienstpersonal
- Im Falle von Streikandrohungen muss eine Notdienstmannschaft in Mindestbesetzung verfügbar sein
- Mindestbesetzung gem. Notdienstplan und einer abzuschließenden Notdienstvereinbarung im Anforderungsfall"
Zeitnah zum Abschluss dieses Dienstleistungsvertrages nahm die Klägerin keinerlei Kontakt zu den Beklagten zum Abschluss einer Notdienstvereinbarung auf.
Das Kernkraftwerk K... sowie das dortige Zwischenlager sind atomrechtliche Anlagen im Sinne des § 7 AtomG. Für sie gelten die vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit bekanntgemachten Richtlinien über Anforderungen an den Objektsicherungsdienst und an Objektsicherungsbeauftragte in kerntechnischen Anlagen und Einrichtungen vom 04.07.2008. In deren Ziffer 6 ist unter anderem geregelt:
6. Verpflichtung von Bewachungsunternehmen
Der Antragsteller/Genehmigungsinhaber kann die Wahrnehmung der Aufgaben des Objektsicherungsdienstes einem Bewachungsunternehmen übertragen. In diesem Fall hat er bei Vertragsverletzung seitens des Bewachungsunternehmens, die die Sicherung und den Schutz der Anlage gefährden können, sofort Vorkehrungen zu treffen, um die Anlagensicherung zu gewährleisten. Die Verantwortung des Antragstellers/Genehmigungsinhabers, durch Sicherungsmaßnahmen den erforderlichen Schutz gegen Störmaßnahmen und sonstige Einwirkungen Dritter zu gewährleisten, bleibt auch im Fall der Beauftragung eines betriebsfremden Bewachungsunternehmens in vollem Umfang bestehen.
Verträge mit Bewachungsunternehmen für Anlagen müssen unter anderem enthalten:
- Vereinbarungen über Erfüllung der in dieser Richtlinie enthaltenen Forderungen oder, soweit der Genehmigungsinhaber selbst Teilaufgaben wahrnimmt, die genaue Bezeichnung der übernommenen Aufgaben und die Verpflichtung, bei verschärfter Gefahrenlage oder konkreter Gefahr die Schichtdienststärken des Objektsicherungsdienstes auf Anforderung des Genehmigungsinhabers kurzfristig zu erhöhen.
- ..."
Die Klägerin beschäftigt im Objektsicherungsdienst im Kernkraftwerk K... 98 Arbeitne...