Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitteilung der Kündigungsgründe. Betriebsrat. Bedingung. Kündigungsschutz. Wartefrist. Rechtsmißbrauch. freie Wahl des Arbeitsplatzes
Leitsatz (amtlich)
Zur Mißbrauchskontrolle bei Kündigungen innerhalb der Wartefrist des § 1 Abs. 1 KSchG.
Normenkette
BewG § 102 Abs. 1; BGB § 162 Abs. 1; KSchG § 1; GG Art. 12 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Flensburg (Urteil vom 21.08.1997; Aktenzeichen 2 Ca 589/97) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Flensburg vom 21.8.1997 – 2 Ca 589/97 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
I. Die zulässige Berufung ist unbegründet.
1. Die Kündigung ist nicht gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. Die Kammer folgt insoweit den Gründen der angefochtenen Entscheidung. Die Beklagte hat den Betriebsrat über die Kündigungsgründe ausreichend unterrichtet. Der Arbeitgeber muß dem Betriebsrat, um seine Unterrichtungspflicht nach § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG zu erfüllen, nicht darlegen, daß die mitgeteilten Kündigungsgründe betriebswirtschaftlich sinnvoll sind.
Die Kammer ist unter Berücksichtigung der Erläuterungen, die die Beklagte zu der freien Stelle gegeben hat, auch davon überzeugt, daß dem Betriebsrat nicht unter bewußter Verschweigung der wahren Kündigungsgründe nur Scheingründe mitgeteilt worden sind.
2. Die Kündigung ist auch nicht nach anderen Bestimmungen unwirksam.
a) Die Unwirksamkeit der Kündigung kann nicht aus § 162 Abs. 1 BGB i. V. m. § 1 Abs. 1 KSchG hergeleitet werden.
Wird der Eintritt einer Bedingung von der Partei, zu deren Nachteil er gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert, so gilt die Bedingung gem. § 162 Abs. 1 BGB als eingetreten. In entsprechender Anwendung dieser Vorschrift ist der Arbeitnehmer so zu behandeln, als wäre die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG bereits erfüllt, wenn der Arbeitgeber die Kündigung nur ausspricht, um entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben den Eintritt des allgemeinen Kündigungsschutzes zu vereiteln. Die gesetzlich festgelegte Wartezeit würde jedoch unterlaufen, wenn man jede kurz vor Erfüllung dieser Zeit ausgesprochene Kündigung als treuwidrige Vereitelung des Kündigungsschutzes ansehen würde. Eine analoge Anwendung des § 162 BGB kommt erst dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber die Kündigung nur deshalb vor Ablauf der 6-monatigen Wartefrist erklärt, um den Eintritt des Kündigungsschutzes zu verhindern, und wenn dieses Vorgehen unter Berücksichtigung der im Einzelfall gegebenen Umstände gegen Treu und Glauben verstößt. Kündigt der Arbeitgeber kurz vor Ablauf der Wartefrist, um z. B. einen Rechtsstreit über die etwaige Sozialwidrigkeit der Kündigung zu vermeiden, so liegt hierin noch kein Verstoß gegen Treu und Glauben; der Arbeitgeber übt lediglich die ihm gem. § 1 Abs. 1 KSchG eingeräumte Kündigungsfreiheit aus. Um eine kurz vor Ablauf der Wartefrist ausgesprochene Kündigung als treuwidrig erscheinen zu lassen, müssen daher weitere Umstände hinzutreten (BAG, Urt. v. 18. August 1982 – 7 AZR 437/80 – EzA § 102 BetrVG Nr. 48).
Daran fehlt es im vorliegenden Fall. Ein besonderer Umstand, der den Vorwurf der Treuwidrigkeit rechtfertigen könnte, liegt auch nicht in der Befristung des Arbeitsvertrages auf 18 Monate. Ziff. 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages bestimmt, daß das Arbeitsverhältnis beiderseits mit einer Frist von einem Monat zum Monatsende gekündigt werden kann.
Da die Erfüllung der Wartefrist aus diesen Gründen im vorliegenden Fall nicht zu fingieren ist, scheidet eine Überprüfung der Kündigung am Maßstab des Kündigungsschutzgesetzes aus.
b) Kündigungen, die nicht nach dem Kündigungsschutzgesetz überprüfbar sind, unterfallen einem allgemeinen Mißbrauchsvorbehalt. Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich der Rechtsmißbrauch des Arbeitgebers ergibt, trägt der Arbeitnehmer.
aa) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommen Umstände, die im Rahmen des § 1 KSchG zu würdigen sind und die Kündigung als sozial ungerechtfertigt erscheinen lassen können, als Verstöße gegen Treu und Glauben nicht in Betracht, weil sonst – so das BAG – für die Fälle, in denen das Kündigungsschutzgesetz wegen Nichterfüllung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG keine Anwendung findet, über § 242 BGB der kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt würde (so z. B. BAG, Urt. v. 16. Februar 1989 – 2 AZR 347/88 – NZA 1989, 964).
Nach dieser Rechtsprechung wären alle von der Klägerin vorgebrachten Argumente schon deshalb nicht geeignet, die Rechtsmißbräuchlichkeit der Kündigung darzulegen, weil es sich um Umstände handelt, die in den Bereich des § 1 KSchG fallen.
bb) Mit guten Gründen läßt sich ein anderes Verhältnis der Mißbrauchskontrolle bei Kündigungen innerhalb der Wartefrist zum Kündigungsschutz nach § 1 KSchG vertreten:
Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG schützt neben der freien Wahl des Berufs auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Ebenso wie die freie Berufswahl sich nicht in der Entscheidung zur Aufnahme eines Berufs erschöpft, sondern auch die Forts...