Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Auswahl. Unterhaltspflichten. Pflegekinder. Lohnsteuerkarte. gesetzlich. Berücksichtigung. Berücksichtigung von Pflegekindern bei der sozialen Auswahl
Leitsatz (amtlich)
Die Unterhaltspflichten, die der Arbeitgeber gem. § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers berücksichtigen muss, erfassen auch in den Haushalt aufgenommene, auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Pflegekinder, für die ein Pflegeelternteil zum Vormund bestellt und für die insoweit eine Dauerpflegschaft eingeräumt wurde.
Normenkette
KSchG § 1 Abs. 3 S. 1
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Urteil vom 02.07.2008; Aktenzeichen 1 Ca 274 e/08) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 02.07.2008 – 1 Ca 274 e/08 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung und in diesem nur um die soziale Auswahl.
Die Klägerin ist am ….1952 geboren, damit zurzeit 56 Jahre alt. Sie ist verheiratet und hat keine Kinder. Ihr Ehemann ist berufstätig. Auf ihrer Lohnsteuerkarte ist Steuerklasse 4 eingetragen. Sie ist seit dem 01.04.1971 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Abteilungsleiterin in I. tätig, zuletzt mit einem monatlichen Gehalt von durchschnittlich 3.690,17 EUR brutto.
Mit Datum vom 30.01.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin aus dringenden betriebsbedingten Gründen fristgemäß zum 30.09.2008. Gleichzeitig bot sie der Klägerin ab 01.10.2008 eine Tätigkeit als Abteilungsleiterin in L., Niedersachsen, zum dort maßgeblichen Tarifgehalt von 3.379,00 EUR an (Anlage K2 – Bl. 6 d. A.). Die Klägerin hat dieses Angebot nicht unter Vorbehalt angenommen. Hintergrund der Kündigung ist die unternehmerische Entscheidung, eine unternehmenseinheitliche Führungsstruktur zu schaffen. Aus diesem Anlass kam es auch zum Abschluss eines Interessenausgleichs sowie eines Sozialplans. Die unternehmerische Entscheidung führt zu einem Überhang in der Position der Abteilungsleiter, u.a. in I.. Dort waren bei Ausspruch der Kündigung drei Abteilungsleiter aktiv beschäftigt.
Die Beklagte hat im Zusammenhang mit der zu treffenden sozialen Auswahl ein Punkteschema angewandt, das unter Beteiligung des Präsidenten des LAG Bremen im Zusammenhang mit einem Sanierungstarifvertrag erarbeitet wurde. Der Gesamtbetriebsrat hat dieses Punkteschema gebilligt. Es hat jedoch nicht die Form einer Betriebsvereinbarung, wurde vor allem von niemandem unterzeichnet. Im Rahmen der Berücksichtigung von Unterhaltspflichten sieht dieses Punkteschema drei Punkte für den Familienstand „verheiratet” sowie fünf Punkte für jedes unterhaltsberechtigte Kind laut Steuerkarte vor (Anlage B5 – Bl. 39a d. A.). Die drei in I. tätigen vergleichbaren Abteilungsleiter weisen folgende Sozialdaten auf:
Person |
Geburtsdatum |
Betriebszugehörigkeit |
Familienstand |
Kinder laut Steuerkarte |
Pkt |
Klägerin |
11.09.1952 |
36 Jahre (01.04.71) |
verheiratet |
0 |
47 |
Herr E. |
29.11.1959 |
31 Jahre (01.08.76) |
verheiratet |
2 |
50 |
Herr S. |
17.11.1958 |
34 Jahre (01.09.73) |
Witwer |
2 |
50 |
Bei den beiden auf der Steuerkarte des Herrn S. eingetragenen Kindern handelt es sich um Pflegekinder, die schon seit etlichen Jahren in der Familie S. leben. Mirko, geboren am ….1996 wurde im Alter von 2 Wochen in den Haushalt aufgenommen und lebt dort seit 12 Jahren. M., geboren am ….1993, lebt, mit einer 6-monatigen Unterbrechung im Jahre 1996 seit Mai 1995, also seit 13 Jahren dort. Herr S. ist zum Vormund bestellt. Es wurde eine Dauerpflegschaft eingeräumt. Er ist seit Januar 2003 Witwer. Die Pflegekinder verblieben in seinem Haushalt und beziehen Halbwaisenrente, die allerdings das Jugendamt erhält. Das Jugendamt zahlt als Zuschuss zur Pflege bis zum 14. Lebensjahr 130,00 EUR pro Kind. Für M. ist dieser Zuschuss im August 2007 altersbedingt erloschen, für Mirko endet der Anspruch im Mai 2010. Es handelt sich um einen Zuschuss für die Kosten einer Haushaltshilfe. Das Kindergeld wird zur Hälfte bzw. zu einem Viertel auf das vom Jugendamt gezahlte Pflegegeld angerechnet.
Vor Ausspruch der streitbefangenen Kündigung hat die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat angehört. Dieser hat der beabsichtigten Änderungskündigung widersprochen und die soziale Auswahl als fehlerhaft gerügt. Die Pflegekinder hätten nicht als Unterhaltspflichten berücksichtigt werden dürfen. Zum Punkteschema, das eine Auswahlrichtlinie darstelle, fehle seine Zustimmung (Anlage K3 – Bl. 8, 9 d. A.).
Die Klägerin hat am 12.02.2008 Kündigungsschutzklage erhoben. Auch sie hält die soziale Auswahl gerade im Hinblick auf die Berücksichtigung der Pflegekinder des Herrn S. für unrichtig.
Die Klägerin hat beantragt,
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die Änderungskündigung der Beklagten vom 30.01.2008 nicht aufgelöst ist, sondern zu unveränderten Bedingungen über den 30.09.2008 hinaus fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das...