Entscheidungsstichwort (Thema)

Unwirksame personenbedingte Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen bei unterlassener Belehrung zu betrieblichen Eingliederungsmaßnahmen

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Prüfungsmaßstab für die Wirksamkeit einer Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ist zum einen die Darlegung häufiger Kurzerkrankungen in der Vergangenheit mit der sich daraus ergebenden Folge einer negativen Zukunftsprognose sowie (als Teil des Kündigungsgrundes) das Vorhandensein einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Arbeitgeberin; dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch erhebliche wirtschaftliche Belastungen der Arbeitgeberin (wie etwa zu erwartende Entgeltfortzahlungskosten über einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr hinaus) zu einer derartigen erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen.

2. Nach dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist eine krankheitsbedingte Kündigung auch dann ungerechtfertigt, wenn sie zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen und der eingetretenen Vertragsstörung nicht erforderlich ist; sie ist nicht erforderlich, solange die Arbeitgeberin nicht alle anderen geeigneten milderen Mittel zur Vermeidung künftiger Störungen ausgeschöpft hat.

3. Zu den die Kündigung bedingenden Tatsachen gehört auch das Fehlen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten, die einen zukünftigen störungsfreien Verlauf des Arbeitsverhältnisses möglich erscheinen lassen; dafür trägt die Arbeitgeberin nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast.

4. Hat die Arbeitgeberin kein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX durchgeführt, darf sie sich durch ihre dem Gesetz widersprechende Untätigkeit keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile verschaffen und sich nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, dass sie keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für die erkrankte Arbeitnehmerin kennt oder dass es keine "freien Arbeitsplätze" gibt, die die erkrankte Arbeitnehmerin aufgrund ihrer Erkrankung noch ausfüllen kann; erforderlich ist vielmehr ein umfassender und konkreter Sachvortrag zu einem nicht mehr möglichen Einsatz der Arbeitnehmerin auf dem bisher innegehabten Arbeitsplatz einerseits und warum andererseits eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder die Arbeitnehmerin nicht auf einem (alternativen) anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden kann.

5. Hat die Arbeitgeberin ein betriebliches Eingliederungsmanagement deshalb nicht durchgeführt, weil die Arbeitnehmerin nicht eingewilligt hat, kommt es darauf an, ob die Arbeitgeberin die Betroffene zuvor auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen hat; die Belehrung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX gehört zu einem regelkonformen Ersuchen der Arbeitgeberin um Zustimmung der Arbeitnehmerin zur Durchführung eines BEM und soll der Arbeitnehmerin die Entscheidung ermöglichen, ob sie ihm zustimmt oder nicht.

6. Die Initiativlast für die Durchführung eines betriebliches Eingliederungsmanagement trägt die Arbeitgeberin.

7. Eine unmittelbar vor Ausspruch der Kündigung von der Arbeitnehmerin erfolgreich und mit Arbeitsfähigkeit abgeschlossene Reha-Maßnahme weckt (schon) Zweifel am Vorliegen einer negativen Zukunftsprognose, insbesondere wenn die Arbeitnehmerin zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung arbeitsfähig ist; dass sie später im Laufe des Rechtsstreits erneut wiederholt arbeitsunfähig erkrankt, hat unberücksichtigt zu bleiben, da maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Kündigung der Zeitpunkt ihres Ausspruchs ist.

 

Normenkette

KSchG § 1 Abs. 2 S. 1 Alt. 1, S. 4; SGB IX § 84 Abs. 2

 

Verfahrensgang

ArbG Elmshorn (Aktenzeichen 1 Ca 1656 b/12)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn - 1 Ca 1656 b/12 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

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Gegen dieses Urteil ist das Rechtsmittel der Revision nicht gegeben; im Übrigen wird auf § 72 a ArbGG verwiesen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung, die im Wesentlichen auf häufige Kurzerkrankungen gestützt ist.

Die im Oktober 1965 geborene Klägerin ist seit dem 01.10.1993 als examinierte Altenpflegerin bei der Insolvenzschuldnerin beschäftigt. Sie erhielt zuletzt monatlich 3.212,-- EUR brutto. Der Einsatz der Klägerin erfolgte im Schichtdienst.

Die Insolvenzschuldnerin beschäftigte bei Ausspruch der Kündigung rund 100 Arbeitnehmer. Am 01.02.2012 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet und der Beklagte als Insolvenzverwalter eingesetzt.

Der Kündigung vom 19.09.2012 liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Im Jahr 2009 war die Klägerin an 25 Arbeitstagen, verteilt auf 13 Zeiträu...

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