Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Fristsetzung zur Anhörung eines Arbeitnehmers vor Ausspruch einer fristlosen Kündigung
Leitsatz (amtlich)
Ein Zeitraum von weniger als zwei Arbeitstagen zur Abgabe einer Stellungnahme im Rahmen einer Anhörung vor Ausspruch einer Verdachtskündigung ist in der Regel unangemessen kurz. Das gilt umso mehr, wenn dem Arbeitgeber bekannt ist, dass sich der Arbeitnehmer regelmäßig anwaltlich vertreten lässt und der Arbeitnehmer zudem arbeitsunfähig krank ist.
Normenkette
BGB § 307 Abs. 1; GewO § 106; BGB § 315; KSchG §§ 1-2; BGB § 626 Abs. 1
Verfahrensgang
ArbG Neumünster (Entscheidung vom 31.08.2017; Aktenzeichen 4 Ca 814 a/16) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neumünster vom 31.08.2017 - 4 Ca 814 a/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im Berufungsverfahren im Wesentlichen über Wirksamkeit einer Versetzung vom 20./28.06.2016 (1), einer fristgemäßen Änderungskündigung vom 28.06.2016 (2) sowie einer fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Verdachtskündigung vom 12.08.2016, die auf mehrere Gründe gestützt ist (3).
Der Kläger ist am ....1954 geboren. Er war seit dem 16.07.2012 als Entwicklungsingenieur bei der Beklagten beschäftigt und im Wesentlichen mit der Entwicklung neuer und der Fortentwicklung bestehender Produkte befasst. Sein Bruttomonatsentgelt belief sich zuletzt auf durchschnittlich 4.481,66 Euro. Dem Arbeitsverhältnis liegt der Anstellungsvertrag vom 05.07.2012 (Bl. 7-12 d. A.) zugrunde. Gemäß § 2 Abs. 1
Satz 2 des Vertrags koordiniert der Kläger "als Verbindung zwischen hausinterner Produktentwicklung/Produktion und dem internationalen Vertrieb in Zusammenarbeit mit der Geschäftsleitung kundenspezifische innovative Anforderungen und Lösungen (Poolmanagement)". Nach Abs. 2 von § 2 ist die Beklagte berechtigt, dem Kläger "auch andere zumutbare Tätigkeiten zu übertragen oder ihn auf einen anderen zumutbaren Arbeitsplatz oder Tätigkeitsort zu versetzen". Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 gilt nach einjähriger Betriebszugehörigkeit eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende als vereinbart.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie mit etwa 50 Arbeitnehmern. Sie produziert Druck- und Funketiketten (RFID-Etiketten) und vertreibt diese.
Das Arbeitsverhältnis ist massiv belastet. Abgesehen von mehreren allgemeinen Rechtsstreiten stritten die Parteien bereits über zwei weitere Kündigungen. Am 30.09.2013 hatte der Kläger zu einer Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes für die Betriebsratswahl eingeladen. Am selben Tag, nur wenige Stunden später, erhielt der Kläger eine fristgerechte Kündigung zum 31.12.2013 und wurde sofort freigestellt. Gegen diese Kündigung wandte er sich erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage (Arbeitsgericht Neumünster 2 Ca 1258 d/13 Urteil vom 24.04.2014 und Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein 2 Sa 169/14 Urteil vom 10.03.2015).
Mit Schreiben vom 19.12.2014 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger erneut, diesmal zum 31.03.2015, dieses Mal aus betrieblichen Gründen. Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang vorgebracht, es sei bereits im September 2013 der Entschluss gefasst worden, den Bereich Forschung und Entwicklung stillzulegen. Auch gegen diese Kündigung wandte sich der Kläger in zweiter Instanz erfolgreich mit einer Kündigungsschutzklage (Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein 6 Sa 415/15 - Urteil vom 09.03.2016), u.a. weil die Beklagte schon die unternehmerische Entscheidung über die Streichung des Bereichs Forschung und Entwicklung nicht substantiiert dargelegt hatte.
Die Beklagte führte im Anschluss daran mit dem Kläger diverse Gespräche über einen anderen Einsatz. Sie wies ihm am 20.06.2016 mündlich mit sofortiger Wirkung eine Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter in Mecklenburg-Vorpommern zu. Gearbeitet werden sollte vom Home-Office aus. Unter dem 21.06.2016 übergab die Beklagte dem Kläger einen Laptop der Marke HP Probook mit 4 GB RAM, 500 GB Festplatte (Übergabeschein Bl. 166/167 d. A.). Die Seriennummer ist in diesem Übergabeschein nicht vermerkt. Der Kläger wurde am 22.06.2016 arbeitsunfähig krank.
Mit Schreiben vom 28.06.2016 versetzte die Beklagte den Kläger nach Beteiligung des Betriebsrates (vom 24.05.2016, Bl. 129 d. A.) in den Vertriebsaußendienst in Mecklenburg-Vorpommern. Daneben sprach sie unter demselben Datum eine Änderungskündigung zum 30.09.2016 aus, nachdem sie den Betriebsrat am 17.06.2016 entsprechend unterrichtet hatte (Bl. 143 - 146 d. A.). Das Änderungsangebot hat der Kläger nicht angenommen.
Am 25.07.2016 oder 26.07.2016 meldete die Firewall der Beklagten, dass über den dem Kläger zur Verfügung gestellten Laptop größere Datenmengen, insgesamt 8 GB, vom Server der Beklagten heruntergeladen wurden, unter anderem Handbücher, Betriebsvereinbarungen Marketingplanungen etc. (Bl. 87/88 d. A.). Unstreitig standen diese Daten dem Kläger zur Verfügung - ob er...