Entscheidungsstichwort (Thema)
Verdachtskündigung. strafbare Handlung. Vermögensdelikt. Diebstahl. Unterschlagung. objektive Tatsachen. subjektive Wertungen. hinreichender Tatverdacht. Aufklärungspflichten. entlastende Ermittlungen. Auflösungsantrag. Sanktionscharakter. ehrverletzende Behauptungen. Verbreitung im Intranet
Leitsatz (amtlich)
1) Entsteht der Verdacht einer Straftat gegenüber einem Arbeitnehmer, muss dieser auf objektive (Indiz-)Tatsachen gründen. Die subjektive Wertung des Arbeitgebers reicht nicht aus. Es müssen schwerwiegende Verdachtsmomente vorliegen, die einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch einer Kündigung veranlassen können. Der Arbeitgeber muss vor Ausspruch einer Verdachtskündigung alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltes unternehmen und prüfen, ob eine große Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der gekündigte Arbeitnehmer eine Straftat begangen hat. Er muss auch prüfen, ob nicht andere Personen als Täter in Betracht kommen.
2) Verdächtigt ein Arbeitgeber leichtfertig und ohne Vorhandensein objektiver Tatsachen einen Arbeitnehmer, eine Straftat begangen zu haben, stellt dieses eine ehrverletzende Behauptung dar, die zu einem Anspruch des Arbeitnehmers auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung führt. Verbreitet der Arbeitgeber, ohne das dieses zur etwaigen Verteidigung der eigenen Rechtsposition geboten war, diese Behauptung zudem im Intranet, ist dieses Verhalten des Arbeitgebers die Abfindung erhöhend zu berücksichtigen.
Normenkette
BGB § 626 Abs. 1; KSchG §§ 9-10
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Urteil vom 28.03.2003; Aktenzeichen 3 Ca 1036b/03) |
Tenor
1) Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichtes E. vom 28.8.2003 – 3 Ca 1036 b/03 – wird zurückgewiesen.
2) Das Arbeitsverhältnis des Klägers wird zum 30.09.2003 fristgemäß aufgelöst.
3) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Abfindung i. H. v. 20.000,00 Euro brutto gem. §§ 9, 10 KSchG zu zahlen.
4) Im Übrigen wird der Auflösungsantrag zurückgewiesen.
5) Hinsichtlich der Kosten erster Instanz bleibt es bei der erstinstanzlichen Kostenentscheidung. Von den Kosten zweiter Instanz trägt der Kläger 15% und die Beklagte 85%.
6) Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über eine fristlose Kündigung mit Vorwurf des Verdachts der Unterschlagung von rund 8.200,00 Euro.
Der Kläger ist am 13.02.1966 geboren, ledig; er hat ein Kind. Seit dem 01.09.1992 ist er bei der Beklagten im Bereich der allgemeinen Verwaltung, Post und Archiv tätig. Ebenso ist er Sicherheitsbeauftragter. Er erhielt zuletzt durchschnittlich 2.455,00 Euro brutto monatlich.
Bei der Beklagten gibt es für Geschäftskunden mit größeren Geldmengen eine Geldanlieferungsmöglichkeit in der Tiefgarage. Dieser Kundenkreis kann in die Tiefgarage hineinfahren. Dort befindet sich über eine unverschlossene stählerne Tür ein Zugang zur Bank. Der Bereich der Tür ist videoüberwacht. Unmittelbar dahinter liegt ein kleiner Kellerflur, indem auch ein Papierschredder steht, neben dem sich u. a. Papiermüll stapelt. Vom Kellerflur aus geht es zum einen zur Treppe und zum anderen zum Fahrstuhl, von wo man jeweils in die Obergeschosse bzw. die Schalterhalle gelangt. Am Ende des kleinen Flures befindet sich zudem eine Stahlgittertür. Dahinter befindet sich der sog. „Geldbearbeitungsbereich”. In diesem Bereich werden die Einlieferungen der Geschäftskunden gezählt und dementsprechend verbucht. Die Annahme der Gelder wird so gehandhabt, dass der Kunde sich bei dem im Geldbearbeitungsbereich tätigen Angestellten meldet. Dieser kommt mit einem kleinen Handwagen, der keine Seitenbegrenzungen hat, zum Fahrzeug des Kunden und lädt das Geld auf den Handwagen. Die Kunden parken in der Regel direkt vor der stählernen Tür.
Am 08.04.2003 kam bei der Beklagten ein Folienbeutel mit 8.200,01 Euro Bargeld abhanden. Eine gewerbliche Kundin hatte an diesem Tag eine größere Menge Bargeld, eingeschweißt in 4 durchsichtigen Plastikbeuteln angeliefert. Diese Beutel sind sehr glatt und rutschen leicht. Eine Mitarbeiterin der Beklagten nahm die Folienbeutel mit dem Bargeld in Empfang, legte sie auf eine Karre, quittierte die Anzahl der überreichten Beutel und beförderte sodann die Karre mit den Geldbeuteln in die Abteilung Geldbearbeitung. In einem der Beutel befand sich der abgezählte, verloren gegangene Betrag von 8.200,01 Euro. Der Beutel war schätzungsweise 3 cm dick und ca. 15 cm lang. Gezählt und verbucht wurde das Geld nicht sofort am 08.04.2003, sondern erst am darauf folgenden Tag, dem 09.04.2003.
Am Freitag, d. 11.04.2003 reklamierte die Kundin die fehlende Gutschrift von 8.200,01 Euro. Die Beklagte prüfte daraufhin die Videoaufzeichnung der Überwachungskamera. Auf dem Videoband sind folgende Vorgänge zu erkennen:
10.12 Uhr |
Mitarbeiter der Fa. T. & D. verlassen die Garage. |
10.13 Uhr |
Ein Fahrzeug der Fa. B. fährt in die Garage. Es wird für den Einzahlungsvorgang nach einem Mitarbeiter der Bank gerufen... |