Entscheidungsstichwort (Thema)
Einrichtung eines Notdienstes im Arbeitskampf. Einschränkung der Arbeitskampffreiheit. Einstweilige Verfügung bei Arbeitskämpfen. Strenger Maßstab für einstweilige Verfügungen im Arbeitskampf
Leitsatz (redaktionell)
1. Aus §§ 1004 und 823 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art 14 Abs. 1 GG ergibt sich die Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Einrichtung eines Notdienstes im Arbeitskampf, sofern eine am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Abwägung der betroffenen Rechtsgüter dies gebietet. Bei einem Notdienst für den Objektschutz stillgelegter Kernkraftwerke ist dies der Fall.
2. Der grundgesetzlich geschützten Arbeitskampffreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG können grundrechtlich geschützte Rechte und Rechtsgüter Dritter z.B. aus Art. 2 Abs. 1 und 2 sowie Art. 14 Abs. 1 GG gegenüberstehen. Zwischen ihnen ist dann ein Ausgleich herbeizuführen, der alle Rechte und Rechtsgüter möglichst weitgehend schützt. Dies kann zu einer Einschränkung der Arbeitskampffreiheit führen.
3. Der Erlass einstweiliger Verfügungen ist bei Arbeitskämpfen zulässig. Erforderlich ist neben dem Verfügungsanspruch auch ein Verfügungsgrund.
4. Jede gerichtliche Maßnahme, insbesondere im einstweiligen Rechtsschutz, verschiebt die Kampfparität zwischen Gewerkschaft und Arbeitgeber(n). Dies gilt auch für die Anordnung eines Notdienstes im Arbeitskampf. Es besteht die Gefahr, dass der Eingriff in den Arbeitskampf eine endgültige Regelung herbeiführt. Gleichwohl ergibt die Interessenabwägung, dass auch im Arbeitskampf ein Notdienst zum Objektschutz stillgelegter Kernkraftwerke, ggfs. per einstweiliger Verfügung, eingesetzt werden darf bzw. muss.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, 2 S. 1, Art. 9 Abs. 3, Art. 14 Abs. 1; BGB §§ 823, 1004; ZPO §§ 935, 940
Verfahrensgang
ArbG Elmshorn (Entscheidung vom 31.07.2018; Aktenzeichen 3 Ga 32 a/18) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 31.07.2018 - 3 Ga 32 a/18 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Einrichtung eines Notdienstes für die Objektsicherungsdienste in den stillgelegten Kernkraftwerken NN1 und NN2 während eines Arbeitskampfes.
Die Verfügungsklägerin (Klägerin) ist ein Unternehmen der Sicherheitswirtschaft und Mitglied der Landesgruppe Schleswig-Holstein des Bundesverbandes der Sicherheitswirtschaft (BDSW).
Die Verfügungsbeklagte zu 1. (Beklagte zu 1.) ist die tarifzuständige Gewerkschaft für den Bereich der Sicherheitswirtschaft, die Verfügungsbeklagte zu 2. (Beklagte zu 2.) ihr für das Bundesland Schleswig-Holstein zuständiger Landesbezirk. Die Beklagte zu 2. schließt mit der Landesgruppe Schleswig-Holstein des BDSW Tarifverträge. Die Landesbezirke der Beklagten zu 1. sind ermächtigt, mit den Mitgliedsunternehmen des BDSW Notdienstvereinbarungen abzuschließen.
Die Klägerin hat mit der Kernkraftwerk NN1 GmbH & Co. oHG und der Kernkraftwerk NN2 GmbH & Co. oHG am 24.06 2014 einen Bewachungsvertrag für die vormals von der Fa. NN3 betriebenen Kernkraftwerke NN2 und NN1 geschlossen (Anlage Ast 12). Vertragsgegenstand ist u.a. der Objektsicherungsdienst (OSD) in den zwischenzeitlich stillgelegten Kernkraftwerken sowie in den dort bestehenden Zwischenlagern. In dem Vertrag heißt es auszugsweise:
"Der Auftragnehmer und das von ihm gestellte Personal hat die Verpflichtung, durch Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung Gefahren und Schäden vom Auftraggeber abzuwenden. Diese Verpflichtung umfasst alle personellen, materiellen und organisatorischen Maßnahmen, die vorbeugend und abwehrend zum Schutz von Personen sowie Sach- und Vermögenswerten erforderlich sind. Der Auftragnehmer verpflichtet sich zur Einhaltung der DIN 77200 "Anforderung an Sicherheitsdienstleistung" und erfüllt für die Daher des Bewachungsauftrags die Bedingungen der Leistungsstufe 3. Ausnahmen bedürfen der vorherigen schriftlichen Erlaubnis des Auftraggebers.
...
Der Auftragnehmer ist verpflichtet, alle einschlägigen Gesetze, Richtlinien und Unfallverhütungsvorschriften einzuhalten und den Auftraggeber unaufgefordert auf Änderungen oder notwendige Maßnahmen hinzuweisen.
§ 9 Streikmaßnahmen des OSD-Personals Der Auftragnehmer verpflichtet sich, sobald ihm Anhaltspunkte bekannt werden, die auf eine bevorstehende Arbeitsniederlegung seines OSD-Personals hinweisen, diese dem Auftraggeber unverzüglich mitzuteilen, damit die Sicherheit der Kraftwerke durch andere Maßnahmen ohne Unterbrechung gewährleistet werden kann.
Der Auftragnehmer wird im Falle von angekündigten Streikmaßnahmen mit der zuständigen Gewerkschaft "Notdienstvereinbarung" abschließen, die eine Mindestbesetzung im OSD gewährleistet."
Die Kernkraftwerke NN2 und NN1 sowie die dortigen Zwischenlager sind atomrechtliche Anlagen im Sinne des § 7 AtomG. Für sie gelten die vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erlassenen Anforderungen an den Objektsicherungsdienst und an Objektsicherungsbeauftragte in kerntechnische...