Entscheidungsstichwort (Thema)
Kündigung einer vermieteten Eigentumswohnung wegen Hinderung an angemessener wirtschaftlicher Verwertung
Leitsatz (amtlich)
Angemessene Verwertung iS von BGB § 564b Abs 2 S 1 Nr 3 kann auch ein Verkauf in vermietetem Zustand sein. Wenn der Vermieter die Wohnung in vermietetem Zustand erworben hat und ein funktionierender Markt für den Handel mit vermietetem Wohnraum besteht, ist regelmäßig dieser Marktpreis zum Maßstab dessen zu nehmen, was noch als angemessene Verwertung anzusehen ist.
Orientierungssatz
Zitierung: Vergleiche BVerfG, 1991-10-09, 1 BvR 227/91, NJW 1992, 361.
Tatbestand
(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)
Die Klägerin erwarb ein Mietshaus und wandelte die Wohnungen in Wohnungseigentum um. Sie kündigte das Wohnungsmietverhältnis mit dem Beklagten mit der Begründung, daß sie beim Verkauf der Wohnung in unvermietetem Zustand einen Mehrerlös in Höhe von 100.000,- DM erzielen würde. Ihre Räumungsklage blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Kündigung hat das Mietverhältnis nicht beendet, weil die Klägerin keine berechtigten Interessen i.S.v. § 564b BGB an der Beendigung des Mietverhältnisses hat.
Die Klägerin wird durch den Fortbestand des Mietverhältnisses nicht an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung der Wohnung gehindert. Es mag sein, daß die Klägerin beim Verkauf der Wohnung in unvermietetem Zustand ca. 100.000,- DM mehr erlösen würde als beim Verkauf in vermietetem Zustand. Es gilt aber für alle Wohnungen, daß der Verkaufspreis in unvermietetem Zustand regelmäßig ganz erheblich über dem Verkaufspreis in vermietetem Zustand liegt. Die bloße Herbeiführung der Erzielung eines Mehrerlöses kann keinen tragfähigen Kündigungsgrund bilden. Der Mindererlös mag zwar für die Klägerin nachteilig sein, aber darauf darf nicht vorschnell abgestellt werden. Es müssen stets alle Tatbestandsmerkmale des § 564b Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 BGB kumulativ erfüllt sein.
Dabei ist zunächst einmal festzustellen, daß sich aus dem eigenen Vortrag der Klägerin ergibt, daß der Fortbestand des Mietverhältnisses einem Verkauf der Wohnung nicht entgegensteht. Als faktisches Hindernis wird allerdings auch angesehen, wenn wegen des zu befürchtenden Mindererlöses der Verkauf wirtschaftlich sinnlos erscheint (BVerfG NJW 1989, 972, 973(= WM 1989, 118); NJW 1991, 3270, 3271 (= WM 1992, 46); NJW 1992, 361, 362 (= WM 1991, 663)). Bei objektiver Betrachtung ist ein Mindererlös von ca. 30 bis 40% sicherlich ein faktisches Verkaufshindernis. Denn ein wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch wird sich mit einem Mindererlös dieses Umfanges nicht zufrieden geben, wenn er den höheren Erlös erzielen kann. Solche objektiven Kriterien sind jedoch nicht unbedingt maßgeblich. Es kommt allein darauf an, ob subjektiv für den Vermieter berechtigte Interessen bestehen: Es ist auf dessen persönliche Verhältnisse abzustellen. Der Vermieter muß Einbußen erleiden, die die dem Mieter aus dem Verlust der Wohnung erwachsenden Nachteile weit übersteigen (BVerfG NJW 1989, 972, 973 (= WM 1989, 118).
Die Klägerin hat die Wohnung in vermietetem Zustand gekauft. Schon dies zeigt deutlich auf, daß ein Handel mit der Streitwohnung in vermietetem Zustand für die Klägerin wirtschaftlich keineswegs sinnlos sein muß. Zwar wurde gelegentlich vertreten, daß durch § 564b Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 BGB sogar Entmietungen zum Zwecke der Erzielung von Spekulationsgewinnen geschützt werden (z.B. RGRK-Gelhaar, 12. Aufl., § 564b Rn. 29), aber diese Auffassung ist mit der aus Art. 14 Abs. 2 GG fließenden mieterschützenden Funktion des § 564b BGB unvereinbar (vgl. BVerfG WM 1985, 75, 76). Die Sozialbindung des Eigentums von Wohnraum beruht darauf, daß dieser als Lebensmittelpunkt des Mieters anzusehen ist (BVerfG a.a.O.; BVerfGE 38, 348, 370 (= WM 1975, 90)). Das grundgesetzliche Gebot einer am Gemeinwohl orientierten Ausübung der aus dem Eigentum entspringenden Rechte umfaßt das Gebot der Rücksichtnahme auf den Nichteigentümer, der der Nutzung des Objektes zu seiner Freiheitssicherung und verantwortlichen Lebensführung bedarf (BVerfG WM 1985, 75, 76).
Einbüßen kann ein Vermieter aber nur etwas, was er schon einmal gehabt hat. Wenn einerseits das Bestehen des Mietverhältnisses als wertminderndes faktisches Verkaufshindernis angesehen wird, dann muß diese wirtschaftliche Betrachtungsweise konsequent verfolgt werden und auch hinsichtlich des Erwerbes des Eigentums Anwendung finden. Es darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Das Eigentum der Klägerin war von vornherein mit dem wertmindernden "Makel" des Bestehens des jetzt streitbefangenen Mietverhältnisses belastet. Sie hat die Wohnung innerhalb eines funktionierenden Marktes für vermieteten Wohnraum zu einem marktüblichen, dem vermieteten Zustand Rechnung tragenden Kaufpreis erworben. Der wirtschaftliche Wert des Objektes in unvermietetem Zustand stand ihr zu keinem Zeitpunkt zur Verfügung. Sie würde ihn erstmals erlangen und realisieren können, wenn sie durch die Beendig...