Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung eines Alten- und Pflegeheimträgers: Verpflichtung zum Einsatz moderner Hilfsmittel zum Schutz von Heimbewohnern vor Verletzungen
Leitsatz (amtlich)
Pflegeeinrichtungen sind verpflichtet, zum Schutz der Versicherten Hilfsmittel wie Hüftschutzhosen, Lichtschrankensysteme oder Sensormatratzen einzusetzen.
Orientierungssatz
Stürzt eine demenzkranke, schwer pflegebedürftige und bettlägrige Altenheimbewohnerin bei dem Versuch das Bett selbstständig zu verlassen und erleidet sie dabei einen Oberschenkelhalsbruch, haftet der Heimträger der gesetzlichen Krankenversicherung aus übergeleitetem Recht auf Ersatz der Heilbehandlungskosten. Dem Heimträger ist es vorzuwerfen, keine modernen Hilfsmittel eingesetzt zu haben, die Heimbewohner vor Sturzverletzungen schützen (Hüftschutzhosen) und/oder dem Pflegepersonal ein eigenmächtiges Verlassen des Bettes signalisieren (Lichtschrankensystem oder Sensormatratzen).
Tenor
1. Das am 15. Mai 2003 verkündete Versäumnisurteil wird aufrechterhalten.
2. Die Beklagte hat die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 12.500,00 Euro vorläufig vollstreckbar.
Die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil darf nur gegen Leistung dieser Sicherheit fortgesetzt werden.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt aus übergegangenem Recht der bei ihr gesetzlich krankenversicherten Frau ... (im folgenden: Versicherte) von der Beklagten als Trägerin des Alten- und Pflegeheims "R" in ... B Schadensersatz für übernommene Heilbehandlungskosten.
Die im Jahr 1913 geborene Versicherte lebt seit dem 13. August 2000 gegen Entgelt im Pflegeheim der Beklagten. Die Versicherte ist dement, bettlägerig und seit dem 1. September 2000 als schwerpflegebedürftig im Sinne der Pflegestufe II nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 SGB XI anerkannt. Laut Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung S vom 28. Juni 2000 leidet die Versicherte an schweren Einschränkungen der Sinnesorgane und des Stütz- und Bewegungsapparates sowie an gelegentlichen Orientierungsstörungen. Sie benötigt personelle Hilfe beim Aufrichten im Bett sowie beim Transfer zwischen Rollstuhl, Bett und Toilette. Auffassungs- und Umsetzungsfähigkeit sind verlangsamt. Die Versicherte neigt dazu, ihre körperlichen Möglichkeiten angesichts der vorhandenen Einschränkungen ihrer Mobilität zu überschätzen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes (Bl. 6 ff. d. A.) verwiesen.
Am 20. Januar 2001 stürzte die Versicherte im Haus der Beklagten aus ihrem Rollstuhl und erlitt eine Gehirnerschütterung. Auf den daraufhin gestellten Antrag der Beklagten genehmigte das Amtsgericht Mitte in Berlin das Anlegen eines Bauchgurtes für den Rollstuhl der Versicherten. Die Genehmigung nächtlicher Fixierung im Bett beantragte die Beklagte nicht. Am 17. Februar 2001 gegen 5.00 Uhr früh versuchte die Versicherte, eigenständig und ohne fremde Hilfe ihr Bett zu verlassen. Bei diesem Versuch kam sie zu Fall und erlitt einen Oberschenkelhalsbruch.
Die Beklagte führt regelmäßige Kontrollgänge in den Wohn- und Pflegebereichen ihres Hauses durch. Hüftschutzhosen, Lichtschrankensysteme oder Sensormatratzen zum Schutz der Heimbewohner vor Verletzungen und Stürzen setzt die Beklagte in ihrem Alten- und Pflegeheim nicht ein.
Die Oberschenkelhalsfraktur der Versicherten wurde in der Zeit vom 17. Februar 2001 bis zum 27. März 2001 im St.-H-Krankenhaus in B behandelt. Die Klägerin erstattete den verschiedenen Leistungserbringern für die stationäre Behandlung, den Krankentransport zum Krankenhaus und zurück sowie für ambulante Behandlung einen Betrag von insgesamt 9.331,62 Euro.
Mit Schreiben vom 23. Oktober 2001 wies der Haftpflichtversicherer der Beklagten die Einstandspflicht der Beklagten für den streitgegenständlichen Schadensfall dem Grunde nach zurück.
Die Klägerin meint, der mit der Klage geltend gemachte Anspruch folge aus einer Verletzung vertraglicher Fürsorgepflichten durch die Beklagte. Nach ihrer Ansicht liege die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Pflichtverletzung bei der Beklagten, die sich insoweit zu entlasten habe. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, zum Schutz der Versicherten vor Verletzungen moderne Hilfsmittel einzusetzen, wie beispielsweise Hüftschutzhosen, die wie "Sturzhelme für die Hüfte" mittels eingenähter Kunststoffprotektoren vor Hüftfrakturen schützen, oder Lichtschrankensysteme und Sensormatratzen, die selbstständige Versuche der Heimbewohner, ihr Bett zu verlassen, dem Pflegepersonal unmittelbar signalisieren.
Sie behauptet ferner, bereits am 23. Februar 2000 habe die Versicherte eine sturzbedingte Brustwirbelfraktur erlitten, was der Beklagten bekannt gewesen sei. Unmittelbar vor ihrem Sturz am 17. Februar 2001 habe die Versicherte nach einer Pflegekraft gerufen. Es sei ihr jedoch niemand zu Hilfe gekommen.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte des Versäumnisurteil vom 15. Mai 2003 über 9.331,62 EUR nebst Zinsen in Höhe von f...