Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Gesetzeszweck des ZPO § 721. Zur Pflicht des Räumungsschuldners, eine Ersatzwohnung zu suchen
Orientierungssatz
(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)
1. Die Gewährung einer Räumungsfrist dient auch der Vermeidung von Obdachlosigkeit.
von des Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofes)
2. Die Pflicht, sich nachhaltig um eine Ersatzwohnung zu kümmern, setzt noch nicht ohne weiteres mit Ausspruch der Kündigung ein, sondern stellt sich im allgemeinen erst mit der Rechtskraft des Räumungsurteils.
Gründe
(aus Wohnungswirtschaft & Mietrecht WuM)
Die nach § 721 Abs. 6 ZPO zulässige und rechtzeitig eingelegte sofortige Beschwerde des Beklagten hat zum Teil Erfolg; im übrigen war das Rechtsmittel zurückzuweisen. Die Gewährung einer noch kurzen Räumungsfrist ist nach dem Schutzzweck des § 721 ZPO auch im vorliegenden Fall geboten und gerechtfertigt. Die Bestimmung dient nicht nur den Belangen des Räumungsschuldners, sondern auch dem Interesse der Allgemeinheit, Obdachlosigkeit mit all ihren unerwünschten sozialen Folgen möglichst zu vermeiden. Daher wird dem nur noch vorübergehenden und befristeten Bestandsinteresse des Räumungsschuldners im allgemeinen der Vorrang vor dem Freimachungsinteresse des Vermieters einzuräumen sein. So verhält es sich letzten Endes auch hier.
Zwar ist der Beklagte alleinstehend und hat nur für seinen Wohnbedarf, nicht etwa denjenigen einer Familie, zu sorgen. Auch hat er nicht schlüssig dargetan, welche Schritte er unternommen hat, um eine Ersatzwohnung zu finden, wobei er unter Umständen auch eine Verschlechterung seiner Wohnsituation in Kauf nehmen müßte. Ferner ist der Klägerin darin zu folgen, daß der Grund für die Auflösung des Mietverhältnisses - hier eine fristlose Kündigung wegen Störung des Hausfriedens durch Lärm - in die Wertung einzubeziehen ist. Dabei wirkt sich zu Lasten des Beklagten aus, daß er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme selbst nach Ausspruch der Kündigung v. 5.1.1988 sich laut und rücksichtslos gegenüber seinen Mitbewohnern verhalten hat.
Sein Schutzbedürfnis kann daher gering veranschlagt werden, ist jedoch nicht gänzlich auszuschließen; denn auch ihm ist Gelegenheit zu geben, sich um eine Ersatzwohnung zu kümmern, damit er nicht obdachlos wird. Hierbei ist zu beachten, daß die Pflicht, sich nachhaltig um eine Ersatzwohnung zu kümmern, noch nicht ohne weiteres mit Ausspruch der Kündigung einsetzt, sondern sich im allgemeinen erst mit der Rechtskraft des Räumungsurteils stellt. Andernfalls müßte der auf Räumung in Anspruch Genommene selbst dann sich vorsorglich um eine Ersatzwohnung bemühen, wenn er sich gegen die Wirksamkeit der Kündigung zur Wehr setzt. Nur dann, wenn deren Berechtigung außer Streit ist oder die Verteidigung des Räumungsschuldners hiergegen (nahezu) mutwillig erscheint, wird die Pflicht zu einem früheren Zeitpunkt einsetzen.
Hier war die Wirksamkeit der Kündigung umstritten; die Klärung der Vorwürfe hing von der Würdigung einer Beweisaufnahme ab, deren Ergebnis der Beklagte erst durch das erstinstanzliche Urteil entnehmen konnte. Soll dem Zweck des Gesetzes entsprochen werden, soweit es darum geht, einer Obdachlosigkeit im Interesse der Allgemeinheit vorzubeugen, so muß auch in den Fällen der vorliegenden Art noch eine kurze Frist zur Wohnungssuche eingeräumt werden. Ohne die durch die Beweisaufnahme erhärteten Vorwürfe in ihrem Gewicht zu schmälern, haben sie kein solches Gewicht, um über die Auflösung des Mietverhältnisses hinaus auch eine Räumungsfrist zu versagen. Diese kann im Hinblick auf die verhältnismäßig geringe Schutzbedürftigkeit des Beklagten nur auf etwa zweieinhalb Monate bemessen werden. Den berechtigten Belangen der Klägerin und der Hausgemeinschaft kann dadurch Rechnung getragen werden, daß die Räumungsfrist auf Antrag abgekürzt werden kann, falls es zu erneuten Lärmstörungen des Beklagten kommt (§ 721 Abs. 3 ZPO).
Da die gewährte Frist deutlich hinter dem erstrebten Ziel des Beklagten zurückbleibt (mindestens drei Monate ab Rechtskraft des amtsgerichtlichen Urteils), hat er den überwiegenden Kostenanteil für das Beschwerdeverfahren nach § 92 Abs. 1 ZPO zu tragen. Die Wertfestsetzung beruht auf § 12 Abs. 1 GKG, wobei das Vierfache einer Monatsmiete zugrunde gelegt worden ist.
Fundstellen