Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerspruch eines Mieters gegen eine Eigenbedarfskündigung: Interessenabwägung zugunsten eines geschiedenen, alleinerziehenden Mieters. Widerspruch eines Mieters gegen eine Eigenbedarfskündigung: Entscheidung über die Vertragsfortsetzung von Amts wegen
Orientierungssatz
1. Hat ein Mieter unter Berufung auf BGB § 556a Abs 1 S 1 einer Eigenbedarfskündigung widersprochen, so ist im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung, dem Umstand, daß der Mieter nach Trennung und Scheidung als alleinerziehender Elternteil in der Wohnung verblieben ist, erhöhte Bedeutung zu zollen. Die damit verbundene Veränderung der Lebensumstände des Mieters ist bei der Abwägung von Härten gemäß der Sozialklausel umfassend zu würdigen. Die mit der Trennung und Scheidung der Eheleute als Mieter verbundenen, geänderten Lebensumstände bei dem in der Wohnung verbliebenen alleinerziehenden Elternteil und den Kindern sind bei der Abwägung von Härten gemäß der Sozialklausel umfassend zu würdigen.
2. Über Art und Dauer der Fortsetzung des Mietvertrages aus Härtegründen entscheidet das Gericht von Amts wegen. Einer Widerklage bedarf es insoweit nicht.
Gründe
Mit dem AG ist davon auszugehen, daß die Voraussetzungen des Eigenbedarfs auf seiten des Klägers vorliegen. Der vom Kläger angemeldete Nutzungswunsch für seine erwachsene Tochter und deren Verlobten, der als solcher von der Beklagten nicht in Abrede gestellt wird, ist vernünftig und nachvollziehbar. Auch nach Auffassung der Kammer kann von der Geltendmachung eines überhöhten Wohnbedarfs - noch - nicht ausgegangen werden. Das Reihenhaus ist als Einfamilienhaus konzipiert und ist in dem Mietvertrag - seinerzeit noch vor dem Dachgeschoßausbau - mit einer Wohnfläche von ca. 117 qm ausgewiesen. Von der Beanspruchung übermäßigen Wohnraums kann damit im Hinblick auf die geplante Familiengründung nicht gesprochen werden. ...
Bedenken gegen die Einhaltung der Form des Widerspruchschreibens greifen nicht durch. Zwar war die dem Schreiben beigefügte schriftliche Vollmacht v. 26.6.1992 lediglich von der Beklagten selbst und nicht auch deren Ehemann unterschrieben. Es kann aber dahinstehen, ob der Mietvertrag nach der Trennung und dem Auszug des Ehemanns der Beklagten überhaupt noch mit diesem fortgesetzt worden ist. Immerhin hat der Kläger selbst den vorliegenden Räumungsrechtsstreit lediglich noch gegen die Beklagte angestrengt. Darüber hinaus hat er sogar einer allein von der Beklagten erhobenen Klage entsprochen, anstatt die Aktivlegitimation zu rügen, und die Forderung durch Verrechnungsschecks erfüllt.
Was die in dem Widerspruchschreiben v. 10.8.1992 vorgetragenen Gründe angeht, so rechtfertigen diese im Zusammenhang mit den nachfolgenden weiteren Feststellungen die von der Beklagten begehrte Fortsetzung des Mietverhältnisses. Entgegen der Ansicht des AG vermag die im Rahmen des § 556a Abs. 1 BGB vorzunehmende Interessenabwägung bei einer Gesamtschau sämtlicher maßgebender Umstände jedenfalls aus derzeitiger Sicht den Räumungsanspruch des Klägers noch nicht zu begründen.
Anders als nach der Annahme des AG steht der Beklagten nicht ein monatliches Nettoeinkommen von 4.000,00 DM zur Verfügung, sondern - wie sie nunmehr im einzelnen in der Berufungsbegründung ausgeführt hat - verfügt sie für sich und die Kinder (nämlich einschließlich Kinderunterhalt, Vorsorgeunterhalt und Kindergeld) über nur 2.846,00 DM. Von daher kann ihr nicht entgegengehalten werden, daß es ihr aus finanziellen Gründen - weil sie in der Lage wäre, einen höheren Betrag für Miete anzuwenden - leichter fallen würde, bei der bekanntermaßen angespannten Wohnungsmarktlage angemessenen Ersatzwohnraum zu finden. Bei den verhältnismäßig hohen Aufwendungen, die sie erfahrungsgemäß für sich als Alleinerziehende und Studierende sowie für zwei noch zur Schule gehende Kinder hat, reiht sie sich vielmehr in die Vielzahl der Wohnungssuchenden mit mehr oder weniger durchschnittlichem Einkommen ein, für die nur der Erwerb bzw. die Anmietung einer der verhältnismäßig preisgünstigen und damit naturgemäß nicht zahlreich zur Verfügung stehenden Wohnungen in Betracht kommt. Daß sich die Beklagte bisher intensiv, aber vergeblich um entsprechenden Ersatzwohnraum bemüht hat, ergibt sich aus ihren diesbezüglichen umfangreichen Darlegungen. Hinzu kommt, daß die Beklagte - jedenfalls derzeit noch - auf die Anmietung einer Ersatzwohnung im jetzigen Wohngebiet in W. oder doch jedenfalls in der Nähe von W. angewiesen ist. Diese Notwendigkeit ergibt sich daraus, daß ihre Tochter S. und vor allem ihr Sohn C. in W. die Schule besuchen, wobei C. - nicht nur aufgrund seines Alters von etwa 11-12 Jahren, sondern vor allem auch um seine psychosoziale Entwicklung entsprechend dem ärztlichen Gutachten des Kinderarztes R. aus W. v. 18.6.1993 nach der Scheidung nicht noch weiter zu gefährden - jedenfalls zunächst noch auf die Betreuung und Versorgung seitens seiner in W. wohnenden Großmutter und auf den Erhalt des derzeitigen Freundeskreises ...