Entscheidungsstichwort (Thema)
Räumung
Verfahrensgang
AG München (Urteil vom 02.09.1988; Aktenzeichen 224 C 5672/88) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Amtsgerichts München vom 02.09.1988 aufgehoben.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Das Mietverhältnis mit der Beklagten über die streitgegenständliche Wohnung wird bis zum 30.06.1990 fortgesetzt.
IV. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
(Von der Fassung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen).
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet.
Das Mietverhältnis ist gem. § 556 a BGB bis zum 30.06.1990 fortzusetzen.
1. Festzustellen ist zunächst, daß die Eigenbedarfskündigung vom 10.03.1987 wirksam ist. In der Kündigung vom 10.03.1987 wird von der Klägerin erklärt, daß sie aus beruflichen Gründen eine größere Wohnung benötigt. Diese Kündigung entspricht noch den formellen Anforderungen des § 564 b Abs. 3 BGB. Entsprechend höchstrichtlicher Rechtsprechung (BayObLG ZNR 85, 96) reicht es als Begründung aus, daß der Kündigungsgrund durch Angabe der Tatsachen so ausführlich bezeichnet wird, daß er identifiziert und von anderen Kündigungsgründen (Sachverhalt) unterschieden werden kann. Dies ist aufgrund der von der Klägerin gegebenen Begründung möglich.
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil vom 14.02.89) und des BGH (NJW 88, 904) sind für den Eigenbedarf bereits vernünftige, nachvollziehbare Gründe ausreichend. Einen solchen vernünftigen und nachvollziehbaren Grund stellt es dar, wenn eine im Berufsleben stehende Erwachsene größeren Wohnraum für sich beansprucht. Unstreitig bewohnt die Klägerin derzeit eine 54 qm große Wohnung, während die streitgegenständliche Wohnung 89 qm umfaßt.
Da sich die streitgegenständliche Eigenbedarfskündigung bereits aus vorgenannten Gründen als wirksam erweist, ist nicht mehr darauf einzugehen, ob der weitere, in der Kündigung genannte Eigenbedarfsgrund, nämlich die beabsichtigte Heirat, tatsächlich vorgelegen hatte oder nicht.
2. Das Mietverhältnis ist jedoch unter Abweisung der Räumungsklage gem. § 556 a BGB fortsetzen, da die vertragsmäßige Beendigung des Mietverhältnisses für die Beklagte eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung der berechtigten Interessen der Klägerin nicht zu rechtfertigen ist.
a) Als Härte im Sinne des § 556 a BGB für die Beklagte ist es zu werten, daß für sie die Suche nach Ersatzwohnraum wegen ihres schwer behinderten Kindes mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist. Es ist unstreitig und im übrigen aufgrund der Behinderung des Kindes auch selbstverständlich, daß dieses zur Betreuung auf bestimmte Bezugspersonen, nämlich die Eltern aber auch Schwester und Schwager der Klägerin, angewiesen ist. Daraus ergibt sich, daß für die Beklagte wegen der Behinderung ihres Kindes es darauf ankommt, eine Wohnung in der Nahe der bisherigen zu erhalten, um auch so wie bisher eine Pflege des Kindes nicht nur durch die Eltern, sondern auch durch die Schwester der Beklagten und deren Ehemann zu gewährleisten. Daß dieser Pflegedienst zumindest dann sehr erschwert werden würde, wenn die Schwester oder der Schwager erst quer durch die Stadt fahren müßten, liegt auf der Hand. Dadurch ist sicherlich die Suche nach Ersatzwohnraum, die ohnehin wohl für eine Familie mit behindertem Kind nicht einfach ist, noch zusätzlich erschwert. Daß Krankheit und Gebrechen des Mieters oder dessen Angehörigen und damit verbundene besondere Schwierigkeiten bei der Suche nach Ersatzwohnraum, einen Härtegrund i.S. des 556 a BGB darstellen, entspricht ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Lehre (vgl. Emmerich-Sonnenschein, Handkommentar § 556 a BGB Anm. 22; LG Kassel MDR 65, 831; LG Mannheim WM 70, 61).
Nicht gefolgt werden kann der Auffassung der Klägerin, der Klägerin oder ihrem Ehemann sei zuzumuten, die Arbeit aufzugeben, um sich völlig der Pflege des Kindes zu widmen. Unstreitig arbeiten die Beklagte und ihr Ehemann jeweils nur halbtags, woraus sich bereits ergibt, daß diese nicht als klassische „Doppelverdiener” angesehen werden können.
b) Die Interessen der Beklagten an der Fortsetzung des Mietverhältnisses haben derzeit auch noch Vorrang gegenüber den Interessen der Klägerin an der Räumung. Auch wenn nunmehr zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen ist, daß sich ihr Haushalt durch Heirat vergrößert hat und ein Bezug der neuen Wohnung auch aus beruflichen Gründen angestrebt wird, so können doch die derzeitigen Wohnverhältnisse der Klägerin nicht bereits als schlechthin unzumutbar gewertet werden. Eine nicht geringe Anzahl von Ehepaaren in vergleichbarer Situation wohnen wohl zunächst in Wohnungen vergleichbarer Größe wie die Klägerin. Es erscheint deshalb unter Abwägung der gegenteiligen Interessen für angemessen, das Mietverhältnis noch für einen begrenzten Zeitraum, nämlich dem 30.06.1990 zu verlängern. Die Kammer geht davon aus, daß bis zu diesem Zeitpunkt die Wohnungsprobleme der Beklagten in einer ihren Interessen entspreche...