Leitsatz (amtlich)
§ 28e Abs. 1 Satz 2 SGB IV findet keine Anwendung auf vor dem 01.01.2008 vorgenommene Rechtshandlungen.
Normenkette
SGB VI § 28e Abs. 1 S. 2; SGB IV § 28e Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
AG Rostock (Urteil vom 04.02.2009; Aktenzeichen 53 C 124/08) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Rostock vom 04.02.2009 – 53 C 124/08 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten der Berufung.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
I.
Der nunmehrige Insolvenzschuldner war mit der Abführung der Gesamtsozialversicherungsbeiträge an die Beklagte seit dem 05.09.2007 im Rückstand. Er unterbreitete unter dem 19.10.2007 einen Schuldenbereinigungsplan. Diesen lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 25.10.2007 ab, unterbreitete zugleich wegen einer offenen Forderung von 10.138,73 Euro ein Ratenzahlungsangebot und kündigte für den Fall der Ablehnung an, nach dem 09.11.2007 Vollstreckungsmaßnahmen einzuleiten (Anlage K2 – GA 9). Am 20.12.2007 überwies die im Schuldenbereinigungsverfahren tätige Treuhänderin (nur) Arbeitnehmeranteile in Höhe von 4.121,33 Euro an die Beklagte (Anlage B2 – GA 21). Am 28.01.2008 stellte der Insolvenzschuldner einen Insolvenzantrag, der zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens am selben Tage führte (Anlage K1 – GA 7). Der als Insolvenzverwalter eingesetzte Kläger focht die Überweisung der Arbeitnehmeranteile an. Mit der Klage begehrt er die Rückzahlung.
Das Amtsgericht Rostock hat der Klage mit Urteil vom 04.02.2009 (GA 75) im Wesentlichen (dh. bis auf einen Teil der Zinsen) stattgegeben. Wegen der Einzelheiten der Begründung und der weiteren Feststellungen wird auf das Urteil Bezug genommen. Es ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 09.02.2009 zugestellt worden.
Gegen die erstinstanzliche Verurteilung wendet sich die Beklagte mit der am 09.03.2009 eingegangenen Berufung und der am 08.04.2009 eingegangenen Berufungsbegründung. Die Zahlung sei nicht durch den Insolvenzschuldner, sondern durch Rechtsanwältin Rosenkranz erfolgt. Zudem unterliege die Überweisung gemäß § 28 e Abs. 1 Satz 2 SGB IV nicht der Anfechtung, weil sie nur Arbeitnehmeranteile betreffe. Die Vorschrift sei anzuwenden, weil der Anfechtungstatbestand erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Jahre 2008 vollendet gewesen sei. Das Amtsgericht habe im Übrigen bereits nicht von der Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners im Zeitpunkt der Überweisung und der dahingehenden Kenntnis der Beklagten ausgehen dürfen. Aus der Nichtzahlung von weniger als 6 Monatsbeiträgen zur Sozialversicherung könne – so OLG Celle, Beschluss vom 09.02.2000 – 2 W 101/99 – und OLG Frankfurt, ZInsO 2005, 548 – nicht auf die Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 04.02.2009 verkündeten Urteils des Amtsgerichts Rostock – 53 C 124/08 – die Klage abzuweisen,
hilfsweise den Rechtstreit an das Amtsgericht zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Mit Beschluss vom 18.05.2009 hat die Kammer auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege hingewiesen. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 10.06.2009 Stellung genommen und die Zulassung der Revision beantragt. Der Vorsitzende hat daraufhin Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt und darauf hingewiesen, an der geäußerten Rechtsauffassung halte die Kammer fest, beabsichtige indes durch Urteil zu entscheiden.
Entscheidungsgründe
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden. In der Sache hat sie indes keinen Erfolg.
Der Kläger kann gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO die Rückzahlung der überwiesenen Arbeitnehmeranteile verlangen. Dabei kann offen bleiben, ob die Überweisung wegen der Androhung der Zwangsvollstreckung eine inkongruente Deckung nach § 131 InsO darstellt. Denn selbst als kongruente Deckung wäre sie nach § 130 InsO anfechtbar:
a) Ausreichend ist – bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – jede Rechtshandlung, die zu einer Schmälerung der Insolvenzmasse zum Nachteil der Gläubiger (§ 129 InsO) führt. Eine Rechtshandlung des Schuldners ist grundsätzlich nicht erforderlich (vgl. Leithaus in Andres/Leithaus, InsO, 1. Aufl., § 129 Rn. 5).
Nach dem Sach- und Streitstand erfolgte die Zahlung aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners zulasten der Masse.
aa) Das Berufungsgericht kann seiner Entscheidung nicht zugrunde legen, Rechtsanwältin Rosenkranz habe die Überweisung aus ihrem eigenen Vermögen vorgenommen. Deren Tätigkeit im Schuldenbereinigungsverfahren war der Beklagten bekannt. Bei dieser Sachlage hätte es ihr oblegen, substantiiert darzulegen, weshalb die Treuhänderin Zahlungen auf die vom nunmehrigen Insolvenzsch...