Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Beschwerde gegen einen Aussetzungsbeschluss. keine Prüfung der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Sozialgerichts durch das Beschwerdegericht. Ermessen

 

Leitsatz (amtlich)

Bei einer Beschwerde gegen einen Aussetzungsbeschluss nach § 114 Abs 3 SGG ist das Beschwerdegericht grundsätzlich nicht zur Prüfung der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Sozialgerichts hinsichtlich der Frage befugt, ob die Ermittlungen im Strafverfahren auf die Entscheidung des Sozialgerichts Einfluss haben können.

 

Orientierungssatz

Die Entscheidung nach § 114 Abs 3 SGG steht im Ermessen des Gerichts, das unter anderem die zu erwartende Arbeitserleichterung, die besondere Fachkunde des anderen Gerichts, die Vermeidung von Doppelarbeit oder von sich widersprechenden Entscheidungen einerseits und Verzögerungen im sozialgerichtlichen Verfahren andererseits gegeneinander abzuwägen hat.

 

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 22. Januar 2014 über die Aussetzung des Rechtsstreits S 9 KR 477/12 wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I.

Die Kläger wenden sich gegen die Aussetzung des Rechtsstreits vor dem Sozialgericht Stuttgart S 9 KR 477/12 bis zum Abschluss des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens 115 Js 104806/12. In der Sache ist zwischen den Beteiligten streitig, ob die Beklagte den Versorgungsvertrag nach § 132a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) gegenüber dem Kläger zu 1) wirksam mit Wirkung zum 30. Juni 2012 gekündigt hat.

Der Kläger zu 1), der einen ambulanten Pflegedienst betrieb, und die Beklagte schlossen mit Wirkung ab dem 1. November 2006 einen Versorgungsvertrag nach § 132a SGB V. Mit notariellem Umwandlungsvertrag vom 6. September 2012 wurde der Kläger zu 1) durch Ausgliederung zur Neugründung nach § 123 Abs. 3 Umwandlungsgesetz (UmwG) in die Klägerin zu 2), eingetragen in das Handelsregister des Amtsgerichts S. am 24. Oktober 2012 (HRB ...), umgewandelt. Die Eintragung der Ausgliederung unter gleichzeitiger Löschung des übertragenen Rechtsträgers im Handelsregister erfolgte am 29. Oktober 2012.

Im Auftrag der Beklagten führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) am 4. und 5. Mai 2011 eine Abrechnungsprüfung durch. Im Prüfbericht vom 30. August 2011 stellte der MDK den Einsatz von Pflegekräften ohne ausreichende Qualifikation, den Einsatz von freien Mitarbeitern und fehlerhafte Abrechnungen durch den Kläger zu 1) fest. Er habe € 1.555.026,82 zu viel in Rechnung gestellt. Nach Anhörung des Klägers zu 1) (Schreiben vom 11. November 2011) kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 30. Dezember 2011 gegenüber dem Kläger zu 1) den Versorgungsvertrag mit Wirkung zum 30. Juni 2012.

Am 24. Januar 2012 erhob der Kläger zu 1) Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG; S 9 KR 477/12) und beantragte am 10. April 2012 den Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 9 KR 1987/12 ER). Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2012 erklärte die Klägerin zu 2) den Beitritt zum Rechtsstreit. Mit Beschluss vom 25. Juni 2012 (S 9 KR 1987/12 ER) stellte das SG im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festgestellt, dass die Kündigung der Beklagten vom 30. Dezember 2011 den Versorgungsvertrag nach § 132a SGB V nicht mit Wirkung zum 30. Juni 2012 beendet habe. Die Beschwerde der Beklagten wies das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Beschluss vom 21. März 2013 (L 11 KR 3290/12 ER-B) mit der Maßgabe zurück, dass der Versorgungsvertrag bis zum 28. Oktober 2010 mit dem Kläger zu 1) und ab dem 29. Oktober 2010 mit der Klägerin zu 2) fortbesteht und die durch die einstweilige Anordnung getroffene Feststellung längstens bis zur Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung gilt.

Mit Schreiben vom 15. November 2013 teilte die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem SG mit, Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gegen den Inhaber des Klägers zu 1) und gleichzeitigem Geschäftsführer der Klägerin zu 2) (115 Js 104806/12) seien unter anderem Vorwürfe der Beklagten und anderer Krankenkassen, dass seit 1. Februar 2009 erbrachte Pflegeleistungen nicht, nicht richtig oder nicht den Vorschriften des Pflegevertrags bzw. des Gesetzes entsprechend abgerechnet worden seien. Der Beschuldigte sei inzwischen inhaftiert worden.

Nach Anhörung der Beteiligten (Schreiben des SG vom 25. November 2013) setzte das SG mit Beschluss vom 22. Januar 2014 das Klageverfahren S 9 KR 477/12 bis zum Abschluss des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens 115 Js 104806/12 aus. Zur Begründung führte es aus, die Ermittlungen im Strafverfahren könnten Einfluss auf die sozialgerichtliche Entscheidung haben. Für die rechtliche Bewertung, inwiefern ein zur Kündigung des Versorgungsvertrages berechtigender schwerwiegender Vertragsverstoß nachweisbar vorliege, würden die strafrechtlichen Ermittlungen voraussichtlich Feststellungen treffen können. Insbesondere die Frage des Abrechnungsbetruges und der Fälschung von abrechnungsrelevanten Unterlagen kämen als tragfähige Kündigungsgründe...

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