Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. mitarbeitende Gesellschafterin in einer Familiengesellschaft mit einem Gesellschaftsanteil von 50 %. Abberufung als Geschäftsführerin. Rechtsmacht. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung
Leitsatz (amtlich)
Wer Gesellschaftsanteile an einer Kapitalgesellschaft hält, ist nur dann selbständig erwerbstätig, wenn damit zugleich eine entsprechende Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen verbunden ist und er über die Möglichkeit verfügt, ihm nicht genehme Weisungen hinsichtlich seiner konkreten Tätigkeit abzuwehren. Dies ist im Regelfall bei einem mitarbeitenden Gesellschafter mit einem Gesellschaftsanteil von 50 %, der nicht zum Geschäftsführer einer GmbH bestellt ist, nicht der Fall. Denn er besitzt regelmäßig nicht die Rechtsmacht, seine Weisungsgebundenheit gegenüber der GmbH nach Belieben aufzuheben oder abzuschwächen.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 25. Januar 2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beigeladene Ziff. 1 in ihrer Tätigkeit als mitarbeitende Gesellschafterin der Klägerin in der Zeit vom 1. Juni 2012 bis zum 31. Dezember 2012 abhängig beschäftigt gewesen ist.
Die 1979 geborene Beigeladene Ziff. 1 erlernte den Beruf der Köchin. Sie gründete zusammen mit ihrem Ehemann durch notariellen Vertrag vom 5. April 2006 die Klägerin. Das Stammkapital der Gesellschaft betrug 25.000,00 €, das die Beigeladene Ziff. 1 sowie deren Ehemann zu jeweils einem Anteil in Höhe von 12.500,00 € übernahmen. Beschlüsse der Gesellschaftsversammlung werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst, wenn das GmbH-Gesetz keine höhere Mehrheit vorschreibt. In dem Gesellschaftsvertrag wurden zur Geschäftsführung folgende Regelung getroffen:
„Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so vertreten zwei gemeinschaftlich oder ein Geschäftsführer zusammen mit einem Prokuristen. Die Gesellschafterversammlung kann, auch wenn mehrere Geschäftsführer bestellt sind, dem einzelnen die Befugnis zur Einzelvertretung erteilen, ohne dass es einer Satzungsänderung bedarf. Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so vertritt er die Gesellschaft allein. Die Gesellschafterversammlung kann Geschäftsführer von den Beschränkungen des § 181 BGB befreien.“
Die Gesellschaft wurde am 27. April 2006 in das Handelsregister beim Amtsgericht G. - Registergericht - eingetragen (Geschäftsnummer HRB 1749 Gei). Zum Geschäftsführer wurde der Ehemann der Beigeladenen Ziff. 1 bestellt und im Handelsregister eingetragen. Am 26. Juni 2006 wurde die Beigeladene Ziff. 1 neben ihrem Ehemann als einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführerin mit der Befugnis, im Namen der Gesellschaft mit sich im eigenen Namen oder als Vertreter eines Dritten Rechtsgeschäfte abzuschließen, eingetragen. Unter dem 22. November 2006 schloss die Klägerin mit der Beigeladenen Ziff. 1 einen „Geschäftsführervertrag“ u.a. mit folgenden Bestimmungen:
„§ 1 Aufgabenbereich
1. Der Geschäftsführer vertritt die Gesellschaft gerichtlich und außergerichtlich. Ihm steht Einzelvertretungs- und Einzelgeschäftsführungsbefugnis zu.
2. Der Geschäftsführer führt seine Tätigkeit nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften, der Satzung der Gesellschaft und diesem Geschäftsführervertrag.
3. Der Geschäftsführer führt seine Tätigkeit mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsführers aus. Die Einteilung der Arbeitszeit richtet sich nach der übernommenen Verantwortung und den betrieblichen Erfordernissen.
§ 2 Zustimmungspflichtige Geschäfte
1. Die Befugnis zur Geschäftsführung umfasst die Vornahme aller Maßnahmen im Rahmen des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs der Gesellschaft.
2. Zur Vornahme von Rechtsgeschäften, welche über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb der Gesellschaft hinausgehen, muss die vorherige Zustimmung des Gesellschafters eingeholt werden. Dies gilt insbesondere für folgende Geschäfte:
a) Festlegung oder Änderung der lang-, mittel- und kurzfristigen Geschäftspolitik, insbesondere Festlegung und Änderung der Vertriebs- und Preispolitik;
b) Übernahme von Bürgschaften, Garantien oder sonstigen Hilfen für Dritte;
c) Aufnahme neuer Geschäftstätigkeiten, teilweise oder vollständige Aufgabe in der Vergangenheit ausgeübter Geschäftstätigkeiten;
d) Entrichtung oder Aufhebung von Betriebsstätten und Zweigniederlassungen;
e) Erwerb und Veräußerung von Betrieben oder Teilbetrieben;
f) Erwerb, Veräußerung oder Belastung von Beteiligungen an anderen Unternehmen;
g) Abschluss, Änderung und Beendigung von Dienstverträgen, die eine Gewinn- oder Umsatzbeteiligung oder eine jährliche Vergütung von mehr als € 50.000,00 vorsehen;
h) Erteilung oder Entzug von Prokuren oder Handlungsvollmachten;
i) Erwerb, Veräußerung oder Belastung von Grundstücken, g...