Entscheidungsstichwort (Thema)
Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Handelsvertreter mit mehr als 5/6 der gesamten Einkünfte von einem Auftraggeber. Tätigkeit im Wesentlichen für einen Auftraggeber. Tätigkeit zweier Handelsvertreter am selben Ort und zur gleichen Zeit für dieselben Auftraggeber. hoher Umsatz eines Handelsvertreters
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Handelsvertreterin, die mehr als fünf Sechstel ihrer gesamten Einkünfte (aus selbständiger Tätigkeit) allein aus der Tätigkeit für einen Auftraggeber erzielt, ist in der Regel im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig.
2. Werden allerdings zwei Handelsvertreterinnen am selben Ort und zur gleichen Zeit für dieselben Auftraggeber tätig (hier: Verkauf von Haushaltswaren in einem Kaufhaus), ist ein hoher Umsatz einer der beiden bei einem Auftraggeber nicht zwingend Ausdruck einer wirtschaftlichen Abhängigkeit von diesem Auftraggeber, sondern kann auch darauf beruhen, dass die beiden Handelsvertreterinnen eine bestimmte Form der Zusammenarbeit untereinander und der Abrechnung gegenüber den Auftraggebern gewählt haben.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15.10.2020 sowie der Bescheid der Beklagten vom 12.02.2019 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 16.09.2019 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet, den Bescheid vom 05.09.2018 aufzuheben.
Tatbestand
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Die Klägerin wendet sich im Zugunstenverfahren gegen die Feststellung der Versicherungs- und Beitragspflicht zur Gesetzlichen Rentenversicherung als selbständig Tätige nach § 2 Satz 1 Nr 9 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) im Zeitraum vom 01.01.2012 bis 31.12.2014.
Die 1953 geborene Klägerin hatte ab 02.01.1988 ein Gewerbe als Propagandistin angemeldet. Die Rechtsvorgängerin der Deutschen Rentenversicherung Bund lehnte die Befreiung von der Versicherungspflicht in der Rentenversicherung für arbeitnehmerähnliche Selbständige mit Bescheid vom 07.10.1999 mit der Begründung ab, am 01.01.1999 habe keine Versicherungspflicht bestanden, da die Klägerin regelmäßig und im Wesentlichen für mehr als einen Auftraggeber tätig sei.
Ab Februar 1999 war die Klägerin als Handelsvertreterin für Haushaltswaren in der K AG-Filiale in U (Einsatzhaus) tätig. Sie veräußerte als Handelsvertreterin Waren der Firma S (seit 1989, keine Unterlagen vorhanden), der Firma L (Vertrag vom 07.04.2014, Bl 28 Rentenakte I), der Firma B (Vertrag ab 01.10.2009, vgl Bl 231 ff Rentenakte II), der Firma F (Vertrag vom 06.09.1999, Bl 125 SG-Akte), der Firma Z (Vertrag ab dem 01.07.2007, Bl 35 Rentenakte I), der Firma K1 und der Firma L1. Neben der Klägerin war auch die Zeugin S1 als Handelsvertreterin im Einsatzhaus K in U als Handelsvertreterin für die Firmen F, B, L, Z, S2 U1 ua tätig. Ein Vertrag mit der Firma S bestand nicht. Mitte 2015 schied die Zeugin S1 altersbedingt aus.
Sowohl die Klägerin als auch die Zeugin S1 waren jeweils ca drei bis vier Tage, in starken Umsatzwochen fünf bis sechs Tage wöchentlich im Einsatzhaus tätig. Die Klägerin rechnete Provisionen im Wesentlichen mit der Firma S ab, in geringerem Umfang auch mit der Firma F und mit den Firmen K1, L (ab Mai 2014), L1, P und G, während die Zeugin S1 vor allem Provisionszahlungen der Firmen F, Z, S2-U1 und B erhielt. Im Jahr 2012 rechnete die Klägerin Netto-Provisionen in Höhe von 40.702,04 € ab, davon 34.210,75 € für die Firma S; im Jahr 2013 waren es 42.319,99 € (35.698,76 €) und im Jahr 2014 noch 34.248,21 € (davon 28.907,82 € für die Firma S). Die Zeugin S1 stellte der Klägerin in jedem Monat in den streitigen Jahren Rechnungen für Beratertätigkeiten in unterschiedlicher Höhe, die die Klägerin anschließend zumeist an die Zeugin S1 überwies und in seltenen Fällen bar aushändigte. Eine schriftliche Vereinbarung über die Ermittlung bzw Verteilung der Provisionen zwischen Klägerin und der Zeugin S1 existiert nicht.
Auf den Antrag auf Statusfeststellung wegen der Tätigkeit für die Firma Z mit der Angabe, auch für weitere Firmen tätig zu sein, stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund mit Bescheid vom 09.12.2015 fest, dass die Tätigkeit als Promoterin bei der Firma Z seit dem 01.06.2015 nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. In der Folge prüfte die Beklagte eine Pflichtversicherung als selbständig Tätige. Mit Bescheid vom 05.09.2018 stellte die Beklagte fest, dass die Klägerin ab 01.01.2012 nach § 2 Satz 1 Nr 9 SGB VI versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung sei und Pflichtbeiträge in Höhe des Regelbeitrags von 514,50 € monatlich für 2012, 509,36 € für 2013 und 522,59 € für 2014, insgesamt 18.557,40 € zu zahlen habe, da sie im Zusammenhang mit ihrer selbständigen Tätigkeit regelmäßig keinen rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftige und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig gewesen sei. Es habe zwar auch zuvor schon Versicherungspflicht bestande...