Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Berufung. Verfahrensmangel. Anhörung eines bestimmten Arztes. geforderter Nachweis zur Gutachtenerstellung innerhalb einer bestimmten Frist. keine gesetzliche Grundlage. nachfolgende Entpflichtung des Sachverständigen wegen fehlender Bereitschaft zur fristgemäßen Gutachtenerstattung. kein Verbrauch des Antragsrechts. Entscheidung durch Gerichtsbescheid. Gehörsverletzung. Entpflichtung des Sachverständigen ohne Anhörungsmitteilung an die Beteiligten. fehlerhafte Gerichtsbesetzung. Zurückverweisung. umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme. Erforderlichkeit der Einholung eines weiteren Gutachtens
Leitsatz (amtlich)
1. Die richterliche Auflage für einen Antrag nach § 109 Abs 1 SGG zur Vorlage eines geeigneten Nachweises, dass der benannte Arzt zur Erstellung des Gutachtens innerhalb einer bestimmten Frist bereit sei, findet im Gesetz keine Stütze. Wird der benannte Arzt später wegen fehlender Bereitschaft zur fristgemäßen Erstellung als Sachverständiger entpflichtet, ist das Antragsrecht nach § 109 Abs 1 SGG nicht deswegen verbraucht. Ein neuer Antrag kann im Regelfall nicht nach § 109 Abs 2 SGG wegen grober Nachlässigkeit abgelehnt werden, weil der Antragsteller gegen die gerichtliche Auflage verstoßen habe.
2. Die Entscheidung durch Gerichtsbescheid nach (den Beteiligten nicht zuvor mitgeteilter) Entpflichtung eines bereits nach § 109 Abs 1 SGG bestellten Sachverständigen ohne (erneute) Anhörungsmitteilung an die Beteiligten führt zu einer fehlerhaften Besetzung der Kammer.
3. Schon allein die Einholung eines weiteren Gutachtens stellt eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme im Sinne des § 159 Abs 1 Nr 2 SGG dar (vgl LSG München vom 5.6.2019 - L 17 U 340/18; LSG Berlin-Potsdam vom 9.3.2017 - L 13 SB 273/16 und vom 14.1.2016 - L 27 R 824/15; LSG Neubrandenburg vom 27.8.2014 - L 5 U 6/14 und vom 13.5.2014 - L 3 VE 4/13).
Orientierungssatz
Die "angemessene Frist" zur Gutachtenerstattung ist bei Anträgen nach § 109 SGG großzügig zu bestimmen und nicht auf drei Monate begrenzt.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 31. März 2020 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Mannheim zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der endgültigen Entscheidung in der Hauptsache vorbehalten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1965 in der Türkei geborene Klägerin war nach ihrem Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland 1984 zunächst ab dem Juni 1994 versicherungspflichtig beschäftigt. Zuletzt übte sie ab 2005 eine geringfügige Beschäftigung als Reinigungskraft in einer Schule (fünf Tage pro Woche, zwei Stunden täglich) mit jährlicher Unterbrechung im August eines Jahres aus. Ab dem 1. Juni 2012 bestand in dieser weiterhin geringfügigen Tätigkeit Versicherungspflicht. Diese Beschäftigung endete im Mai 2014. Danach sind im Versicherungsverlauf keine rentenrechtlichen Zeiten mehr gespeichert.
Einen ersten Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vom 10. Juni 2013 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26. Juli 2013 mangels Erwerbsminderung ab. Den am 17. September 2013 gestellten Antrag der Klägerin auf Überprüfung dieses Bescheides lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 23. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juli 2014 ab. Die hiergegen beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhobene Klage (S 17 R 2291/14, später S 17 R 1395/16) wies dieses nach Durchführung von medizinischen Ermittlungen mit Urteil vom 27. September 2016 ab, da die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei. Das SG hatte neben sachverständigen Zeugenauskünften behandelnder Ärzte von Amts wegen das Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. Sch. vom 19. Mai 2015 (chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Dysthymia; leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt acht Stunden täglich zumutbar) sowie auf Kostenrisiko der Klägerin gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie G. vom 6. Mai 2016 (chronische therapieresistente rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige depressive Episode, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren; Leistungsfähigkeit von weniger als drei Stunden täglich) eingeholt. Die gegen das klageabweisende Urteil eingelegte Berufung (L 10 R 3823/16) wies das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg mit Beschluss vom 11. Mai 2017 zurück, da die Klägerin nicht erwerbsgemindert sei.
Am 13. Juni 2017 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Zur Begründung führte sie auch eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes sowie die Zuerkennung des Pflegegrades 2 (Überleitungsbescheid der Pflegekasse vom 2. Dezember 2016) an und legte mehrere Arztbriefe ihrer behandelnden Ärzte seit 2013 vor. Seit 2014 sei sie wege...