Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Krankenversicherung. Pflegeversicherung. Beitragsbemessung. keine Beitragsentlastung wegen des Betreuungs- und Erziehungsaufwands von Kindern - Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Art 3 Abs 1 GG iVm Art 6 Abs 1 GG ist nicht dadurch verletzt, dass die Betreuung und Erziehung von Kindern bei der Beitragsbemessung zur gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung keine Berücksichtigung finden. Versicherte können daher nicht beanspruchen, dass bei der Beitragserhebung zur gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung ihre Erziehungsleistungen beitragsäquivalent zu berücksichtigen sind. Die Einzugsstelle ist nicht berechtigt, isoliert über einen Antrag auf Beitragsreduzierung zu entscheiden; sie muss vielmehr über die konkrete Beitragshöhe bzw den Beitragsanteil des Versicherten entscheiden. Anschluss an Bundessozialgericht, Urteil vom 30.9.2015 - B 12 KR 15/12 R = BSGE 120, 23 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 77 - und vom 20.7.2017 - B 12 KR 14/15 R = BSGE 124, 26 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 84.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 20.07.2016 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 21.09.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.11.2015 aufgehoben.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin ¼ ihrer außergerichtlichen Kosten aller Rechtszüge, einschließlich der Kosten des Verfahrens der Nichtzulassung der Revision, zu erstatten. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Reduzierung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (gRV), zur gesetzlichen Krankenversicherung (gKV) und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) im Hinblick auf ihren Aufwand für die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder.
Die im Jahr 1984 geborene Klägerin, Mutter (zwischenzeitlich) dreier, in den Jahren 2010, 2013 und 2017 geborener Kinder, ist bei der Beigeladenen zu 3) versicherungspflichtig beschäftigt. Sie ist bei der Beklagten kranken-, bei der Beigeladenen zu 2) renten- und bei der Beigeladenen zu 1) pflegeversichert.
Am 26.08.2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten als Einzugsstelle unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 03.04.2001 (- 1 BvR 1629/94 -, in juris) ab dem 01.01.2015 bei der Betragserhebung zur gKV, zur sPV und zur gRV die aus dem Barunterhalt und der Betreuung bestehenden Erziehungsleistungen für ihre zwei Kinder beitragsäquivalent zu berücksichtigen, wobei hilfsweise das steuerliche Existenzminimum des § 32 Abs. 6 Einkommenssteuergesetz (EStG) herangezogen werden könne.
Mit Bescheid vom 21.09.2015 lehnte die Beklagte den Antrag ab und führte hierzu die aktuell gültigen gesetzlichen Bestimmungen an.
Den hiergegen am 25.09.2015 erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2015 als unbegründet zurück. Sie, die Beklagte, habe die Beiträge nach den gesetzlichen Vorschriften erhoben. Sie führte hierzu aus, der allgemeine Beitragssatz belaufe sich in der gKV auf 14,6 %. Ferner sei ein kassenindividueller Zusatzbeitrag im Umfang von 0,9 % zu zahlen. In der sPV belaufe sich der Beitragssatz bundeseinheitlich auf 2,35 %, in der gRV auf 18,7 %. Die Beitragsbemessung sei anhand dieser Beitragssätze erfolgt. Das Bundessozialgericht (BSG) habe, so die Beklagte weiter, mit Urteil vom 30.09.2015 (- B 12 KR 15/12 R -, in juris) entschieden, dass Eltern nicht, wie klägerseits begehrt, beanspruchen könnten, wegen des Aufwandes für die Betreuung und Erziehung von Kindern geringere Beiträge zur gKV, zur sPV und zur gRV zahlen zu müssen.
Hiergegen hat die Klägerin am 18.12.2015 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Sie hat vorgetragen, das BVerfG habe entschieden, dass es mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar sei, dass Mitglieder der sPV, die Kinder betreuten und erzögen, mit gleich hohen Pflegeversicherungsbeiträgen wie Mitglieder ohne Kinder belastet würden. Die gesetzgeberische Umsetzung in der Form, die Beiträge für Kinderlose um 0,25 Prozentpunkte zu erhöhen, missachte den Umstand, dass auf die konstitutive Leistung der Kindererziehung für die intragenerationell verteilenden Systeme abzustellen sei, die naturgemäß je nach Anzahl der Kinder unterschiedlich hoch sei. Dies gelte umso mehr, als der Gesetzgeber sodann zum 01.01.2015 die Beiträge zur sPV für Eltern und Nichteltern unterschiedslos um 0,3 Prozentpunkte erhöht und hierdurch die Ungleichbehandlung potenziert habe. Die Tatsache, dass 0,1 Prozentpunkte dieser Erhöhung in einen eingerichteten Pflegevorsorgefonds flößen, sei nicht hinzunehmen, da sie als Mutter zweier Kinder für die demographisch bedingten Beitragssatzerhöhungen nicht verantwortlich sei. Dem Gesetzgeber sei ferner durch das BVerfG der Auftrag erteilt worden, die Beitragsäquivalenz in der gKV und gRV zu prüfen. Diesem Auftrag sei der Gesetzgeber nicht nachgekommen.
Die Beklagte ist der Klage unter Verweis auf d...