Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufhebung eines Bescheides über die Gewährung einer Rente wegen Todes aus der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund der Anrechnung von Erwerbseinkommen. Mitteilungspflicht eines Rentenbeziehers. atypischer Fall iS des § 48 Abs 1 S 2 SGB 10
Orientierungssatz
1. Die dem Bezieher einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (hier: Witwerrente) obliegende Mitteilungspflicht iS des § 60 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 1 ist erst erfüllt, wenn die Mitteilung bei dem Rentenversicherungsträger ankommt und zugeht. Hierfür hat er Sorge zu tragen (vgl LSG Darmstadt vom 24.11.2017 - L 5 R 12/14 sowie LSG Stuttgart vom 29.1.2019 - L 13 R 1523/17).
2. Zum Vorliegen eines atypischen Falles iS des § 48 Abs 1 S 2 SGB 10.
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Juli 2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Aufhebung und Erstattung einer Hinterbliebenenrente streitig. Der Kläger wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten, mit dem diese an ihn geleistete Hinterbliebenenrente für die Zeit vom 01.07.1998 bis 30.06.2019 in Höhe von insgesamt 67.227,64 Euro zurückfordert.
Der 1963 geborene Kläger reiste am 09.10.1995 als Spätaussiedler mit seinen beiden 1989 bzw. 1992 geborenen Kindern aus (dem ehemaligen) Russland, wo er als Orchestermusiker tätig war, in das Bundesgebiet ein. Er war verheiratet mit der 1993 in Russland vorverstorbenen S, geb. D (im Folgenden: Versicherte).
Am 20.10.1995 beantragte der Kläger bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), im Folgenden: Beklagte, ihm eine Hinterbliebenenrente zu gewähren. In einer Anlage zum Antrag auf Hinterbliebenenrente gab er an, über kein eigenes Einkommen zu verfügen. Durch Bescheid vom 04.03.1996 gewährte die BfA dem Kläger unter der Versicherungsnummer (VSNR) der Verstorbenen Bearbeitungskennzeichen (BKZ) 5535) eine große Witwerrente, beginnend ab 09.10.1995 in Höhe von zunächst monatlich 746,14 DM brutto/693,17 DM netto. Dabei berücksichtigte die Beklagte kein Erwerbseinkommen. Im Bewilligungsbescheid vom 04.03.1996 heißt es im Abschnitt "Mitteilungs- und Mitwirkungspflichten" unter anderem:
„Erwerbseinkommen und Erwerbsersatzeinkommen können Einfluss auf die Rentenhöhe haben. Daher besteht die gesetzliche Verpflichtung, uns das Hinzutreten oder die Veränderung von Erwerbseinkommen, das sind
- Arbeitsentgelt,
- Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit,
- vergleichbares Einkommen,
oder von Erwerbsersatzeinkommen unverzüglich mitzuteilen.
Die Meldung von Veränderungen erübrigt sich bei Einkommen aus einer in der Bundesrepublik Deutschland rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit oder bei Renten aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung.“
Auf Seite 5 des Bescheids unter „Hinweise“ heißt es: „Trift eine Witwenrente oder Witwerrente mit Erwerbs- oder Erwerbsersatzeinkommen des Berechtigten zusammen, so ist auf die Rente Einkommen in Höhe von 40 v.H. des Betrages anzurechnen, um den das monatliche Einkommen einen dynamischen Freibetrag übersteigt.“
Am 22.07.1997 teilte der Kläger der Beklagten unter Vorlage eines Dienstvertrages die Aufnahme einer Tätigkeit als freiberuflicher Musiklehrer an der Musikschule L ab Juni 1997 mit und beantragte die Ausstellung eines Sozialversicherungsausweises. Die Beklagte teilte ihm daraufhin mit, dass die Vergabe einer Versicherungsnummer für ihn veranlasst worden sei und ihm anschließend ein Sozialversicherungsnachweisheft zugestellt werde. Auf Nachfrage der Beklagten legte er die Gehaltsabrechnungen für Juni und Juli 1997 vor. In weiteren Schreiben vom 23.10.1998 und 17.06.1999 teilte der Kläger der BfA mit, die Tätigkeit bei der Musikschule weiterhin als freiberuflicher Musiklehrer auszuüben. Auf Nachfrage der Beklagten legte er wiederum Einkommensnachweise vor (Einkommen 1997 ab Juni 11.556,18 DM, Einkommen 1998 bis einschließlich Oktober 21.556,36 DM). Das mitgeteilte Einkommen lag in den Folgejahren jeweils unter dem Freibetrag.
Am 01.10.2001 nahm der Kläger eine versicherungspflichtige Beschäftigung bei der Musikschule P als Musiklehrer auf. Eine Mitteilung des Klägers über die Aufnahme der abhängigen Beschäftigung bzw. über das ab diesem Zeitpunkt erzielte Einkommen ist in der Witwerrentenakte der Versicherten nicht aktenkundig.
Mit Bescheid vom 17.08.2004 berechnete die Beklagte die Rente wegen einer Änderung des Beitragssatzes zur Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner ab 01.09.2001 neu. Für die Zeit ab 01.10.2004 wurde eine monatliche Rente i.H.v. 391,50 € sowie eine Nachzahlung für die Zeit vom 01.09.2001 bis 30.09.2014 in Höhe von 17,19 € festgesetzt. Auch im Zuge der Neuberechnung der Rente erfolgte keine Anrechnung von Erwerbseinkommen. Im Bescheid vom 17.08.2004 wird unter „Mi...