Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld. Anrechnung von Nebeneinkommen. selbständige Tätigkeit. Privilegierung von ehemals Teilzeitbeschäftigten. Verfassungsmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Der Gesetzgeber darf in typisierender und pauschalierender Weise das Nebeneinkommen auf das Arbeitslosengeld anrechnen, um die Motivation zur Arbeitsaufnahme zu erhalten. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Nebeneinkommen aus einer selbständigen Tätigkeit oder einer abhängigen Beschäftigung stammt, ob die Nebentätigkeit vor Eintritt der Arbeitslosigkeit oder danach aufgenommen worden ist.
2. Um die Rechtsfolge des § 115 Abs 2 AFG auszulösen, dürfen die Haupt- und Nebenbeschäftigung zusammen höchstens eine reguläre Beschäftigung bilden.
3. Es verstößt nicht gegen Art 3 Abs 1 GG, wenn die ehemals teilzeitbeschäftigten Arbeitslosen teilweise privilegiert werden.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) vom 17.06 bis 30.11.1996 unter Anrechnung von Einkünften des Klägers aus selbstständiger Nebentätigkeit teilweise hat aufheben und die entsprechenden Leistungen zurückfordern dürfen.
Der 1949 geborene, verheiratete Kläger war von 1988 bis 1995 bei einem Unternehmen der Kunststofftechnik als Geschäftsführer beschäftigt (Bruttoarbeitsentgelt 16.552,75 DM monatlich, tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit nach Angaben der früheren Arbeitgeberin 38,5 Stunden). Das Arbeitsverhältnis endete am 31.12.1995 durch Aufhebungsvertrag vom 29.09.1995, mit dem der Kläger eine Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes in Höhe von 160.000 DM erhielt.
Mit Wirkung zum 01.01.1996 meldete sich der Kläger beim Arbeitsamt L (AA) arbeitslos und beantragte die Gewährung von Alg. Mit seiner Unterschrift versicherte er, das Merkblatt für Arbeitslose "Ihre Rechte- -Ihre Pflichten" erhalten und von seinem Inhalt Kenntnis genommen zu haben. Daneben gab er unter anderem an, er übe seit 1992 eine selbstständige Tätigkeit im Immobilienhandel in einem zeitlichen Umfang von durchschnittlich zwölf Stunden wöchentlich aus. Die formularmäßige Frage nach den Einnahmen aus dieser Tätigkeit ließ er mit der Bemerkung offen "je nach Immobilienverkauf -- Bilanzierung wird nach Erhalt nachgereicht". Darauf bewilligte das AA Alg nach Ablauf einer Sperrzeit und eines Ruhenszeitraums wegen der Abfindung (Bescheid vom 29.12.1995) mit Bescheid vom 11.04.1996 und Änderungsbescheid vom 18.04.1996 ab 17.06.1996 in Höhe von 679,80 DM wöchentlich (Bemessungsfaktoren: Bemessungsentgelt 1.870,-- DM, Lohnersatzquote 60 v.H., Leistungsgruppe C/0). Diese Leistung bezog der Kläger bis zur erneuten Arbeitsaufnahme bis zum 30.11.1996.
Einschränkungen hinsichtlich der Anrechnung künftiger Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit enthielten die Bescheide nicht. Auf ihnen war nur formularmäßig der Hinweis aufgebracht "Soweit die Leistung der Höhe nach vorläufig festgesetzt worden ist, handelt es sich um einen Vorschuss im Sinne des § 42 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I). Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen."
Auf Aufforderung des AA mit einem ersten Schreiben vom 08.07.1996 sowie weiteren nachfolgenden Anfragen bestätigte der Kläger nochmals die Dauer seiner wöchentlichen Arbeitszeit mit zwölf Stunden und gab an, dass er zwei Mitarbeiter beschäftige. Darüber hinaus legte er zunächst Aufstellungen über die bei ihm anfallenden jährlichen Kosten sowie die von ihm vereinbarten Gutschriften in den Monaten Juli bis November 1996 vor, wonach er im Bewilligungszeitraum Einkünfte von 9.329,72 DM (Juni 1996), 1.350,00 DM (Juli 1996), 5.347,83 DM (August 1996), 5.514,50 DM (September 1996), 5.880,00 DM (Oktober 1996) sowie 3.685,65 DM (November 1996), insgesamt damit 31.107,70 DM, verbuchte und Ausgaben in Höhe von 3.642,19 (Juni 1996), 5.071,55 DM (Juli 1996), 4.830,59 DM (August 1996), 3.391,50 DM (September 1996), 4.487,54 DM (Oktober 1996) und 4.929,70 DM (November 1996), insgesamt damit 26.353,07 DM als Werbungskosten geltend machte. Schließlich legte er mit Schreiben vom 12.11.1997 den Steuerbescheid des Finanzamts B-B (FA) für das Jahr 1996 vom 15.07.1997 vor. Nach dem Steuerbescheid belief sich das zu versteuernde Einkommen des Klägers aus Gewerbebetrieb, nichtselbstständiger Arbeit sowie aus Vermietung und Verpachtung 1996 insgesamt auf 162.614 DM. Die Einkünfte aus Gewerbebetrieb waren mit 32.794 DM festgesetzt. Die Einkommensteuer war unter Berücksichtigung von Einkünften der Ehefrau des Klägers in Höhe von 45.410 DM auf 28.437 DM festgesetzt worden.
Gestützt darauf errechnete das AA das auf den Bewilligungszeitraum vom 17.06. bis 30.11.1996 entfallende Einkommen des Klägers aus selbstständiger Tätigkeit mit 14.938,00 DM, die davon abzusetzenden Steuern, Sozialversicherungsbeiträge und Werbungskosten mit 3.590,36 DM und rechnete davon auf das von dem Kläger bezogene Alg nach § 115 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) einen Betrag von 5.914,37 DM an. Ohne den Kläger dazu vorher angehört zu haben, erließ es demgemä...