Entscheidungsstichwort (Thema)
Zulässigkeit der Verrechnung von Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen mit Ansprüchen auf laufende Geldleistungen eines Versicherungsträgers
Orientierungssatz
1. Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen kann gemäß § 51 Abs. 2 SGB 1 der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch nicht hilfebedürftig nach dem SGB 2 oder dem SGB 12 wird.
2. Der Verrechnungsbescheid des Leistungsträgers muss i. S. des § 33 Abs. 1 SGB 10 inhaltlich hinreichend bestimmt sein und erkennen lassen, dass der Leistungsträger von seinem Ermessen Gebrauch gemacht hat.
3. Handelt es sich bei Haupt- und Gegenforderung um Geldforderungen, so ist die erforderliche Gleichartigkeit gegeben.
4. Die besonderen Pfändungsgrenzen des § 54 SGB 1 finden keine Anwendung. Eine Begrenzung erfolgt lediglich insoweit, als die Verrechnung höchstens bis zur Hälfte der laufenden Geldleistung zulässig ist.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 14. März 2017 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die beklagte Deutsche Rentenversicherung Bund die dem Kläger gewährte Rente wegen Erwerbsunfähigkeit mit Forderungen der beigeladenen Deutschen Rentenversicherung Braunschweig-Hannover verrechnen darf.
Der 1949 geborene Kläger lebt seinen Angaben zufolge von seiner Ehefrau U J (geb. 1961) getrennt; aus dieser Ehe gingen drei Kinder (M. und D.k, beide geb. 1994; S., geb. 1996) hervor. Der Kläger, gelernter Elektroinstallateur, durchlief auf Kosten der Beigeladenen in der Zeit vom 22. August 1988 bis 30. September 1991 eine Umschulung zum medizinischen Bademeister und Masseur. Danach war er in diesem Beruf ab dem 1. Oktober 1991 bei der P.-Betriebsgesellschaft mbH in A. beschäftigt; ab 6. Dezember 1993 bestand Arbeitsunfähigkeit. Nach Durchführung eines stationären Heilverfahrens (29. Juni bis 27. Juli 1994) bewilligte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (i.F. ebenfalls Beklagte), dem Kläger durch Bescheid vom 1. September 1995 ab dem 28. Juli 1994 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer. Diese Rente bezog der Kläger bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze; seit l. April 2015 erhält er von der Beklagten eine Altersrente. Beim Kläger waren ab 19. Januar 2000 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 sowie der Nachteilsausgleich G festgestellt; seit 27. November 2012 beträgt der GdB 90 (Merkzeichen wie bisher).
Erstmals am 7. Dezember 1995 hatte die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, die Landesversicherungsanstalt H. (i.F. ebenfalls Beigeladene), die Beklagte um Verrechnung von 7.757,64 DM gegen die laufende Rente ersucht, weil der Kläger ihr auf Grund unterlassener Meldung der Verlegung seines Wohnsitzes überzahlte Miet- und Verpflegungskosten in Höhe von 7.680,00 DM schulde und außerdem eine Restforderung von 77,64 DM aus überzahltem Übergangsgeld bestehe. Dem Verrechnungsersuchen lagen bestandskräftig gewordene Bescheide der Beigeladenen vom 22. Juli und 28. August 1991 zugrunde. Der Bescheid vom 22. Juli 1991 betraf die (teilweise) Rücknahme der Bewilligung von Übergangsgeld sowie die Rückforderung der überzahlten Beträge für die Zeit vom l. April bis 31. Mai 1991 in Höhe von 2.588,40 DM (umgerechnet 1.323,43 Euro), der Bescheid vom 28. August 1991 die Rücknahme der Bewilligung von Mietkosten und Verpflegungsgeld während vom Kläger durchgeführter Praktika in der Zeit vom l. Oktober 1989 bis 31. März 1990 und vom l. Mai bis 31. Oktober 1990 sowie die Rückforderung insoweit überzahlter Leistungen in Höhe von insgesamt 7.680,00 DM (umgerechnet 3.926,72 Euro), wobei aus dem Bescheid vom 22. Juli 1991 lediglich noch eine Restforderung von 77,64 DM (39,70 Euro) resultierte. Dem Verrechnungsersuchen kam die Beklagte zunächst nicht nach, weil sie davon ausging, dass beim Kläger im Fall der Verrechnung sozialhilferechtliche Hilfebedürftigkeit eintreten würde.
Am 5. März 2013 ging bei der Beklagten ein nochmaliges Verrechnungsersuchen der Beigeladenen (Schreiben vom 26. Februar 2013) ein, mit dem sie die Gesamtforderung der Erstattungsbeträge wegen zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen aus den Bescheiden vom 22. Juli und 28. August 1991 wiederum mit 3.966,42 Euro bezifferte. Im Anhörungsschreiben vom 18. März 2013 wies die Beklagte den Kläger mit Blick auf das Verrechnungsersuchen darauf hin, dass beabsichtigt sei, von der laufenden Rentenleistung monatlich 450,00 Euro einzubehalten und an die Beigeladene bis zur Tilgung von deren Forderungen zu zahlen. Der Kläger machte mit Schreiben vom 2. April 2013 geltend, mit dem Einbehalt von 450,00 Euro wäre die "Grundsicherung zum Lebensunterhalt" nicht mehr gewährleistet; allenfalls monatlich 50,00 Euro könne er sich vorstellen. Er verwies auf seine Schwerbe...