Entscheidungsstichwort (Thema)
Künstlersozialversicherung. Versicherungspflicht. Webdesigner. Berufsanfängerprivileg. in der Vergangenheit ausgeübte publizistische Tätigkeit
Leitsatz (amtlich)
Dem Berufsanfängerprivileg nach § 3 Abs 2 KSVG steht eine in der Vergangenheit ausgeübte unter das KSVG fallende Tätigkeit (hier publizistische Tätigkeit), die in keinerlei Zusammenhang zur aktuell zu beurteilenden Tätigkeit (hier als Webdesigner) steht, grundsätzlich nicht entgegen.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 09.03.2021 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Im Streit steht die Versicherungspflicht des Klägers in der Künstlersozialversicherung von Juni 2016 bis Mai 2019.
Der im Jahr 1963 geborene Kläger schloss im September 1989 ein Studium der Rechtswissenschaften ab. Nach einer kurzzeitigen Tätigkeit als Datentypist war er in der Zeit von Februar bis Oktober 1990 arbeitssuchend. Während eines Sprach-Studienaufenthalts in Thailand in der Zeit von Februar bis Oktober 1990 verfasste und veröffentlichte er zusammen mit einem Freund einen Sprachführer „Thai für Touris“ im hierfür gegründeten S-Verlag, G und S1 GbR. In der Zeit von November 1990 bis 1997 war der Kläger mit Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit bei verschiedenen Arbeitgebern als Datentypist, kaufmännischer Angestellter und Sachbearbeiter tätig. Zeitweise war er als zugelassener Rechtsanwalt von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit (Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 28.05.1990). Von 1997 bis Ende 2014 war er als Insolvenzsachbearbeiter bei der Barmer GEK beschäftigt. Seit Anfang 2015 war er arbeitssuchend. Parallel hierzu absolvierte er bis August 2015 erfolgreich ein Fernstudium „Webdesign“ an der Online-Schule für Gestaltung in L. Im September 2015 begann er an derselben Schule ein Fernstudium „Grafikdesign“, welches er im Februar 2017 abschloss. Bereits am 12.05.2016 nahm er eine selbständige Tätigkeit als Webdesigner auf. Die Agentur für Arbeit bewilligte ihm hierfür nach Vorlage eines Businessplans mit Bescheid vom 20.06.2016 einen Gründungszuschuss. Zum 21.08.2019 gab er seine selbständige Tätigkeit als Webdesigner wieder auf, nachdem er durchgängig keine Gewinne erwirtschaften konnte.
Am 20.06.2016 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Feststellung der Künstlersozialversicherungspflicht.
Mit Bescheid vom 18.01.2017 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die vom Kläger vorgelegten Unterlagen nicht ausreichend erkennen ließen, dass die selbständige künstlerische Tätigkeit nachhaltig und erwerbsmäßig ausgeübt werde. Berücksichtigt worden sei bei der Entscheidung die Rechnung vom 22.09.2016.
Hiergegen legte der Kläger am 24.02.2017 Widerspruch ein. Da er das zwingend erforderliche Existenzgründungsdarlehen trotz erfolgsversprechenden Businessplans nicht erhalten habe, sei sein Vorhaben ins Stocken geraten, da er geplante Werbemaßnahmen habe nicht durchführen können. Daher habe er sich im September 2016 entschlossen, eine für die Altersvorsorge gedachte Wohnung zu verkaufen. Der Notartermin werde vermutlich im April 2017 stattfinden. Zudem habe er die selbständige Tätigkeit seit Aufnahme mindestens acht Stunden werktäglich ausgeübt, so dass eine erwerbsmäßige Tätigkeit vorliege. Auf Nachfrage der Beklagten teilte der Kläger mit Schreiben vom 29.08.2017, dass er keine weiteren Aufträge habe akquirieren können.
Mit Widerspruchsbescheid vom 04.09.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Am 04.10.2017 hat der Kläger zum Sozialgericht Ulm (SG) Klage erhoben und beantragt festzustellen, dass er vom 12.05.2016 bis 21.08.2019 als Webdesigner der Versicherungspflicht in der Künstlersozialversicherung unterlegen habe. Zur Begründung hat er vorgetragen, er sei bei der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft freiwillig gesetzlich unfallversichert. Zudem sei er davon ausgegangen, dass er von seinem Bruder, der selbständiger Grafikdesigner sei, Aufträge bekomme. Dies habe sich leider anders entwickelt; bisher habe er keinen einzigen Auftrag erhalten. Aktuell führe er Gespräche und habe einige Aufträge bzw. habe Aufträge konkret in Aussicht. Mit der Veröffentlichung des Sprachführers im Jahr 1990 sei zu keiner Zeit beabsichtigt gewesen, Geld zu verdienen. Es habe sich um einen „Studenten-Gag“ gehandelt und nicht um einen Beruf. Es habe einen einzigen Druckauftrag über 2000 Exemplare gegeben. Eine Kiste stehe noch heute irgendwo im Keller. Der Verlag sei nur gegründet worden, um die Kosten steuerlich absetzen zu können. Auf Anforderung des SG hat der Kläger eine Rechnung vom 16.11.2017 vorgelegt. Der Auftrag sei nicht beendet worden, da der Kunde wegen Aufgabe der selbständigen Tätigkeit kein Interesse mehr an einer Website gehabt habe. Zudem hat der Kläger Monatsreporte für die Monate Februar bis April 2018, ein Buchungsprotokoll und eine betriebswirtschaftliche ...