Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Kostenerstattung für kieferorthopädische Behandlung. Beginn. Aufstellung des kieferorthopädischen Behandlungsplans. Verbindlichkeit der "Kriterien zur Anwendung der kieferorthopädischen Indikationsgruppen" in den Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für die kieferorthopädische Behandlung für die Zuordnung zur vertragsärztlichen Versorgung. Verfassungsmäßigkeit. Unaufschiebbare Leistung. Kausaler Zusammenhang zwischen der Ablehnung der Leistung und der Beschaffung auf eigene Kosten. Schwere Kieferanomalie. Behandlungsbedarfsgrad. Messmethode

 

Leitsatz (amtlich)

1. Im Regelfall ist die Aufstellung des kieferorthopädischen Behandlungsplans als Beginn der Behandlung anzusehen (vgl BSG vom 25.3.2003 - B 1 KR 17/01 R = BSGE 91, 32 = SozR 4-2500 § 28 Nr 1 und vom 9.12.1997 - 1 RK 11/97 = BSGE 81, 245 = SozR 3-2500 § 28 Nr 3).

2. Die in den Richtlinien für die kieferorthopädische Behandlung (KFO-Richtlinien - juris: KORL) als Anl 2 aufgeführten "Kriterien zur Anwendung der kieferorthopädischen Indikationsgruppen" sind für die Zuordnung zur vertragsärztlichen Versorgung verbindlich.

 

Orientierungssatz

Die “Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen für die kieferorthopädische Behandlung„ verstoßen nicht gegen höherrangiges Recht; auch ist der Leistungsausschluss für volljährige Versicherte verfassungsgemäß (vgl BSG vom 9.12.1997 - 1 RK 11/97 aaO).

 

Normenkette

SGB V § 13 Abs. 3, § 28 Abs. 2 Sätze 1, 6-8, § 29 Abs. 1, 4 S. 1

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 31.05.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Übernahme/Erstattung der Kosten für eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung bei Dr. R. hat.

Die am 1983 geborene Klägerin war bis 31.12.2010 bei der Beklagten krankenversichert.

Bei der Klägerin lagen im Oberkiefer ein Engstand und eine Retroklination der Schneidezähne, eine Nichtanlage des Zahnes 22, eine Supraposition der Schneidezähne, eine Mesialwanderung der Seitenzähne sowie multiple Rotationen vor. In der regio des Zahnes 22 besteht eine Implantatversorgung. Im Unterkiefer lagen ein Engstand und eine Retroklination der Schneidezähne, eine Supraposition der Schneidezähne sowie multiple Rotationen vor. Außerdem bestand eine ausgeprägte Distalbisslage.

Mit Schreiben vom 14.09.2009, bei der Beklagten am 15.09.2009 eingegangen, beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für eine kombinierte kieferorthopädisch-kieferchirurgische Behandlung. Wegen der Schmerzen und Funktionseinschränkungen im Kiefergelenk habe sie einen Kieferorthopäden aufgesucht, der einen ausgeprägten Unterbiss, multiple Rotationen der Zähne sowie stark nach innen steilgestellte Frontzähne festgestellt habe. Dies solle mit Hilfe der kieferorthopädisch-kieferchirurgischen Behandlung korrigiert werden. Durch das kombinierte Krankheitsbild werde die kieferorthopädische Indikationsgruppe (KIG) 3 nicht erreicht, da der Mindestabstand von sechs Millimeter zwar durch den reinen Unterbiss erreicht würde, aber der gemessene Abstand durch die zurückliegenden Frontzähne deutlich verringert sei. Der Umstand der ungünstigen doppelten Fehlstellung sei zu berücksichtigen.

Dem Antrag legte die Klägerin einen privaten kieferorthopädischen Behandlungsplan des Kieferorthopäden Dr. R. vom 23.06.2009 bei. Als Therapie sieht der Behandlungsplan im Oberkiefer vor: Intrusion und Torquen der Schneidezähne, Distalisation der Seitenzähne, Derotation der gedrehten Zähne. Lückenöffnung in regio der Nichtanlage des Zahnes 22 für die spätere prothetische Neuversorgung des Implantats in regio 22. Im Unterkiefer: Intrusion und Torquen der Schneidezähne, Derotation der gedrehten Zähne, Nivellieren der ausgeprägten Spee-Kurve. Durch Umstellungsosteotomie der Kiefer sei die Neutralbisslage einzustellen. Anschließend erfolge die kieferorthopädische Einstellung des Unterkiefers in zentrische Kondylenpostion. Dr. R. führte aus, es handele sich um eine schwere Kieferfehlbildung. Die Abweichungen der Zahnfehlstellungen ließen jedoch nur eine Zuordnung des Befundes in die kieferorthopädische Indikationsgruppe (KIG) D2 zu, so dass dem kieferorthopädischen Behandlungsplan zwar ein einheitliches kieferorthopädisch-kieferchirurgisches Therapiekonzept zugrunde liege, die Ausnahmeregelung des § 28 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) jedoch nicht gegeben sei. Daher erfolge ein privater kieferorthopädischer Behandlungsplan nach GOZ. Die Kosten bezifferte Dr. R. auf 4.493,31 €.

Am 15.09.2009 begann Dr. R. mit der Behandlung der Klägerin.

Mit Bescheid vom 15.09.2009, am selben Tag mit normalem Brief zur Post gegeben, lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme ab. Dr. R. habe festgestellt, dass eine Zahn- bzw Kieferfehlstellung vorliege, für welche die Krankenkasse ni...

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