Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Grundsicherung für Arbeitsuchende. vorläufige Leistungsbewilligung. Einkommensberücksichtigung. einmalige Einnahme. Steuererstattung. Berücksichtigung im Folgemonat. Anwendbarkeit des § 48 SGB 10 für die Vergangenheit. Sonderregelung des § 67 Abs 4 SGB 2 aus Anlass der COVID-19-Pandemie
Leitsatz (amtlich)
Der Grundsicherungsträger ist im Fall einer vorläufigen Bewilligung (§ 41a SGB II) von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Anwendungsbereich des § 67 Abs 4 SGB II nicht daran gehindert, die vorläufige Leistungsbewilligung jedenfalls während des noch laufenden Bewilligungsabschnitts nach § 48 SGB X auch rückwirkend für die Vergangenheit aufzuheben.
Orientierungssatz
Auch im Rahmen einer vorläufigen Bewilligung von Leistungen wird eine einmalige Einnahmen, sofern für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden sind, im Folgemonat berücksichtigt.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 8. April 2022 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Kläger im Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und die vom Beklagten geltend gemachte Erstattung zu Unrecht erbrachter Leistungen i.H.v. insg. 992,88 €.
Der 1975 geborene Kläger zu 1) steht seit dem 1. Februar 2019 beim Beklagten im Bezug von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Die Kläger zu 2) und zu 3) sind die 2005 bzw. 2001 geborenen Kinder des Klägers, die sich zeitweise beim Kläger zu 1), überwiegend jedoch bei der ehemaligen Ehefrau des Klägers zu 1) aufhalten. Die jeweiligen Leistungsbewilligungen erfolgten hierbei jeweils zunächst, unter der Begründung des Bestehens einer temporären Bedarfsgemeinschaft, nach § 41a Abs. 1 SGB II vorläufig.
Mit Bescheid vom 14. Juni 2020 bewilligte der Beklagte dem Kläger zu 1) (und den Klägern zu 2 und zu 3) vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 1. August 2020 - 31. Januar 2021. Der Beklagte berücksichtigte für den Kläger zu 1) hierbei den monatlichen Regelbedarf von 432,- €, für die Kläger zu 2) und zu 3) einen Regelbedarf in Abhängigkeit zu den tatsächlichen Anwesenheitszeiten beim Kläger zu 1). Ferner berücksichtigte er die tatsächlich anfallenden Kosten für Unterkunft und Heizung i.H.v. insg. 580,- € monatlich. Der bewilligte Betrag belief sich auf 401,06 € für August 2020, 959,30 € für September 2019, 1.096,80 € für Oktober 2020, 1.160,40 € für November 2020, 1.245,20 € für Dezember 2020 und auf 1.139,20 € für Januar 2021. Der Beklagte führte hierzu u.a. aus, dass, da die vorausgegangene Bewilligungsentscheidung vorläufig ergangen sei, auch diese Weiterbewilligungsentscheidung mit gleicher Begründung vorläufig ergehe (§ 67 Abs. 5 i.V.m. § 41a Abs. 1 SGB II). Der Beklagte wies darauf hin, dass, wenn im Bewilligungszeitraum in einzelnen Kalendermonaten vorläufig zu hohe Leistungen erbracht würden, die sich daraus ergebenden Überzahlungen auf die abschließend bewilligten Leistungen anzurechnen seien. Überzahlungen, die nach der Anrechnung fortbestehen, seien zu erstatten. Ergehe innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums keine abschließende Entscheidung, gölten die vorläufig bewilligten Leistungen als abschließend festgesetzt.
Am 15. Dezember 2020 teilte der Kläger zu 1) dem Beklagten per E-Mail mit, dass er durch einen „Lohnsteuerausgleich 2019“ einen Betrag i.H.v. 1.090,34 € erlangt habe. Dieser Betrag ist dessen Konto am 27. Oktober 2020 gutgeschrieben worden.
Nachdem der Beklagte den Kläger zu 1) mit Schreiben vom 16. Dezember 2020 zur beabsichtigten Aufhebung der Leistungsbewilligung für Oktober 2020 und zur Erstattung der in diesem Zeitraum zu Unrecht gewährter Leistungen angehört hatte, hob der Beklagte mit Bescheid vom 30. Dezember 2020 den Bescheid vom 14. Juni 2020 teilweise betr. den Monat Oktober 2020 auf und forderte von den Klägern die Erstattung eines Betrages i.H.v. insg. 992,88 €. Der Bescheid richte sich an den Kläger zu 1) persönlich und als gesetzlichen Vertreter der Kläger zu 2) und zu 3). Begründend führte er aus, die Kläger hätten am 27. Oktober 2020 einmalig eine Einkommensteuererstattung i.H.v. 1090,34 € erhalten, die im Umfang von 992,88 € anzurechnen sei. Den vom Kläger zu 1) zu erstattenden Betrag bezifferte der Beklagte auf 653,59 €, auf die Klägerin zu 2) entfielen 302,11 € und auf den Kläger zu 3) 37,18 €. Einmalige Einnahmen seien in dem Monat, in dem sie zufließen, zu berücksichtigen (§ 11 Abs. 3 Satz 1 SGB II). Sofern für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der einmaligen Einnahme erbracht worden seien, seien sie im Folgemonat zu berücksichtigen (§ 11 Abs. 3 Satz 3 SGB II). Mit den (nunmehr) nachgewiese...