Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung mit Empfangsbekenntnis. falsch angegebener Zustellungszeitpunkt. Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. psychische Erkrankung. Abgrenzung zwischen einer Akuterkrankung und einer länger dauernden zeitlichen Leistungseinschränkung von mehr als sechs Monaten
Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Empfangsbekenntnis handelt es sich um eine öffentliche Urkunde iSd § 418 ZPO, die damit grundsätzlich den vollen Beweis dafür erbringt, dass der darin angegebene Zustellungszeitpunkt der Wirklichkeit entspricht. Dies gilt freilich dann nicht, wenn die Urkunde äußere Mängel aufweist. Dies ist etwa gegeben, wenn das Ausstellungsdatum des Empfangsbekenntnisses nach dem Empfangsdatum liegt.
2. Gerade bei psychischen Erkrankungen ist eine Abgrenzung zwischen einer Akuterkrankung und einer länger dauernden zeitlichen Leistungseinschränkung von mehr als sechs Monaten erforderlich. Psychische Erkrankungen sind dabei grundsätzlich erst dann von rentenrechtlicher Relevanz, wenn trotz adäquater Behandlung (medikamentös, therapeutisch, ambulant und stationär) davon auszugehen ist, dass ein Versicherter die psychischen Einschränkungen dauerhaft nicht überwinden kann - weder aus eigener Kraft, noch mit ärztlicher oder therapeutischer Hilfe. Wie aus den Leitlinien der Beklagten für die sozialmedizinische Begutachtung (Stand August 2012, Leitlinien) hervorgeht, bedingt eine einzelne mittelgradige oder schwere depressive Episode in den meisten Fällen vorübergehende Arbeitsunfähigkeit und erfordert eine Krankenbehandlung, stellt jedoch in Anbetracht der üblicherweise vollständigen Remission keine erhebliche Gefährdung der Erwerbsfähigkeit dar.
Orientierungssatz
1. Zum Leitsatz 1 vgl BSG vom 8.7.2002 - B 3 P 3/02 R = SozR 3-1500 § 164 Nr 13 und LSG Stuttgart vom 30.6.2008 - L 1 U 3732/07.
2. Zum Leitsatz 2 vgl BSG vom 12.9.1990 - 5 RJ 88/89 sowie vom 29.3.2006 - B 13 RJ 31/05 R = BSGE 96, 147 = SozR 4-2600 § 102 Nr 2, LSG München vom 21.3.2012 - L 19 R 35/08 und vom 21.1.2015 - L 19 R 394/10 sowie LSG Stuttgart vom 27.4.2016 - L 5 R 459/15.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 25.07.2013 aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung.
Der 1955 in I. geborene Kläger ist seit August 1972 in Deutschland wohnhaft. Er verfügt über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Von 1979 bis Ende September 2008 war der Kläger zuletzt als Arbeiter in der chemischen Industrie bzw. Staplerfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Bis 16.10.2011 bezog der Kläger Krankengeld und Arbeitslosengeld I. Seither bezieht er keine Leistungen und ist auch nicht arbeitslos gemeldet.
Der Kläger besitzt seit dem 01.01.1998 einen anerkannten Grad der Behinderung von 50. Mit Bescheid vom 22.09.2015 wurde ihm eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 01.12.2015 bewilligt.
Vom 15.09.2008 bis 06.10.2008 befand sich der Kläger in einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der H.-E.-Klinik in Bad S. auf Grund seiner Diabeteserkrankung. Der Kläger wurde hieraus als erwerbsfähig für körperlich leichte bis mittelschwere Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem zeitlichen Umfang von täglich sechs Stunden und mehr entlassen.
Am 18.05.2010 beantragte der Kläger die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Zur Begründung gab er an, seit 2006 wegen seiner steifen rechten Hand auf Grund eines Operationsfehlers, Beschwerden an der rechten Schulter sowie Diabetes allenfalls in der Lage zu sein, leichte Tätigkeiten bis zu drei Stunden täglich zu verrichten.
Die Beklagte zog daraufhin u. a. ärztliche Unterlagen bei und ließ den Kläger auf Anregung von Dr. P. (Gutachten vom 30.06.2010) mehrfachärztlich begutachten. Die Fachärztin für Chirurgie, Plastische Chirurgie und Sozialmedizin Z. stellte in ihrem Gutachten vom 21.09.2010 auf Grund der ambulanten Untersuchung am 05.08.2010 folgende Diagnosen:
1. Mittel- bis hochgradige Funktionseinschränkung der rechten Handwurzel und des Handgelenks bei Zustand nach mehrfacher Kahnbein-OP, Abtragen von Exostosen sowie Glättungsoperation bei röntgenologischer Arthrose des Handgelenks mit Entkalkungszeichen des Knochens sowie noch einliegender Schraube bei persistierender Falschgelenkbildung des Kahnbeins, wahrscheinlich Zustand nach Algodystrophie
2. Mittelgradige Funktionsstörung des rechten Schultergelenks ohne aktuellen Reizzustand
3. Zeichen einer leichten Muskelminderung des Deltamuskels sowie geringer Sensibilitätsabschwächung über dem Deltamuskel rechts als Zeichen einer Irritation des Nervus axillaris
4. LWS-Syndrom mit allenfalls leichten funktionellen Einschränkungen ohne Zeichen der Wurzelkompression, röntgenologisch ohne wesentliche degenerative Veränderungen
5. HWS-BWS-Syndrom mit leichten funktionellen Einschrän...