Entscheidungsstichwort (Thema)

Gesetzliche Unfallversicherung. Änderung, Aufhebung oder Ersetzung von "vorläufigen" Feststellungen eines Rentenanspruchs. Gesetzeskonkurrenz zwischen § 62 SGB 7 und § 48 SGB 10. Bindungswirkung des die vorläufige Rente gewährenden Bescheides

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 62 SGB 7 verdrängt im Bereich der Änderung, Aufhebung oder Ersetzung von "vorläufigen" Feststellungen eines Rentenanspruchs in der gesetzlichen Unfallversicherung die generelle Regelung des § 48 SGB 10.

2. Die Bindungswirkung des die vorläufige Rente gewährenden Bescheides kann lediglich hinsichtlich des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit beseitigt werden, nicht jedoch bzgl der Anerkennung des Unfalles als Arbeitsunfall, der festgestellten Unfallfolgen und der Festsetzung des Jahresarbeitsverdienstes.

 

Orientierungssatz

Lässt sich aus § 62 SGB 7 keine wirksame Rechtsgrundlage für die Aufhebung mit Bindungswirkung festgestellter Unfallfolgen ableiten, ist zu prüfen, ob die ursprüngliche Feststellung rechtswidrig gewesen oder rechtswidrig geworden ist und die §§ 45, 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB 10) Rechtsgrundlage für die hier erfolgte faktische Aufhebung der bezeichneten Unfallfolge sein können.

 

Normenkette

SGB VII § 62 Abs. 2 Sätze 1-2, § 56 Abs. 2 S. 1; SGB X §§ 48, 45; SGG § 77

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Februar 2009 sowie der Bescheid der Beklagten vom 23. Oktober 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. März 2007 aufgehoben.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe einer zu gewährenden Verletztenrente wegen eines von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalles streitig.

Der 1971 geborene Kläger war als Zimmererhelfer bei der Firma W., Bad F., beschäftigt. Er befand sich mit seinem PKW auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, als es am 09.12.2003 gegen 20.00 Uhr zu einem Frontalzusammenstoß mit einem anderen PKW gekommen war. Nach dem Durchgangsarztbericht von Prof. Dr. S., S.-Kliniken H. GmbH, zog sich der Kläger hierbei eine Subarachnoidalblutung rechts hochparietal, eine basale Lungenkontusion beidseits, eine Acetabulumfraktur rechts, multiple Schnittwunden im Gesicht, multiple Bisswunden an der Zunge, einen Ausbruch des Schneidezahnes am Unterkiefer, eine Risswunde am rechten Knie mit Kniegelenkseröffnung sowie multiple Schnittwunden an der rechten Hand zu. Zusätzlich waren im Entlassungsbericht der S.-Kliniken H. vom 08.03.2004 nach einem stationären Aufenthalt bis 15.01.2004 eine Ruptur des hinteren Kreuzbandes und der dorsalen Kapsel im rechten Knie beschrieben worden. In diesem Bericht wurde auch über eine pulmonale Insuffizienz, ein allergisches Hautexanthem und ein Durchgangssyndrom berichtet.

Der Akutbehandlung schloss sich eine stationäre Behandlung in der Rehaklinik S. vom 15.01.2004 bis 26.02.2004 an. Wegen einer deutlichen Bewegungseinschränkung mit Beugekontraktur des rechten Hüftgelenkes befand sich der Kläger darüber hinaus in der stationären Behandlung der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik (BGU) T. vom 11.05.2004 bis 28.05.2004. Ein im Rahmen einer Maßnahme der Berufsfindung und Arbeitserprobung (vom 15.11. bis 26.11.2004 im Berufsförderungswerk Bad W.) erstelltes arbeitspsychologisches Gutachten äußerte den Verdacht, dass beim Kläger neuropsychologische Ausfälle vorliegen könnten, die möglicherweise durch ein schweres Schädelhirntrauma verursacht sein könnten. Ausreichende Ergebnisse hätten in den erprobten Berufsbereichen nicht erzielt werden können.

Auf Veranlassung der Beklagten erstattete hierauf Dr. E., H., ein neurologisches Gutachten. Unter dem 24.02.2005 führte er unter Berücksichtigung einer ambulant durchgeführten testpsychologischen Untersuchung aus, dass neben den körperlichen Unfallfolgen ausgeprägte hirnorganische Veränderungen vorlägen. Es bestünden nachhaltige Störungen der Konzentrationsfähigkeit und des Auffassungsvermögens. Die Merkfähigkeit, die Gedächtnisleistung sowie die kognitiven Funktionen, wie beispielsweise Kopfrechnen oder das Erstellen einfacher Problemlösestrategien, seien deutlich beeinträchtigt. Im affektiven Verhalten bestünde eine Impulskontrollstörung mit Wutanfällen und teilweise aggressivem Verhalten. Gleichzeitig seien die genannten Beeinträchtigungen dem rehabilitations- und arbeitswillig wirkenden Probanden schmerzlich bewusst. Das erstmals durchgeführte Schädel-MRT zeige Zeichen einer diffusen axonalen Hirnschädigung als Residuum eines Traumas.

Der Kläger befand sich in der Zeit vom 22.03.2005 bis 17.05.2005 und vom 04.07.2005 bis 20.09.2005 zu einem weiteren stationären Heilverfahren in den Kliniken S., G.. Im Rahmen des während des zweiten Aufenthaltes erstatteten neurologischen Gutachtens (vom 15.11.2005) haben Dr. R. und Dr. H. unter Berücksichtigung eines neuropsychologischen Zusatzgutachtens von Diplompsychologe B. und Dr. R. eine mittelgradige bis deutlich...

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