Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Kostenerstattung zwischen Sozialhilfeträgern. Kostenerstattung bei Umzug. Anwendbarkeit alten oder neuen Rechts. Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts. Interessenwahrungsgrundsatz. Bagatellgrenze
Leitsatz (amtlich)
Bei der Prüfung, ob die Bagatellgrenze des § 111 Abs 2 BSHG (heute § 110 Abs 2 SGB 12) überschritten ist, sind die tatsächlich aufgewendeten Kosten, nicht die rechtlich durchsetzbaren Kosten maßgeblich (Anschluss an BSG vom 24.3.2009 - B 8 SO 34/07 R = SozR 4-5910 § 111 Nr 1).
Orientierungssatz
1. Bei Fehlen besonderer Übergangs- oder Überleitungsvorschriften ist auf die Grundsätze des intertemporalen Verwaltungsrechts zurückzugreifen. Insoweit richtet sich die Beurteilung eines Sachverhalts grundsätzlich nach dem Recht, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht ausdrücklich oder stillschweigend etwas anderes bestimmt (vgl BSG vom 24.3.2009 - B 8 SO 34/07 R aaO).
2. Der erstattungsberechtigte Sozialhilfeträger hat den Interessenwahrungsgrundsatz zu beachten. Er hat alle nach Lage des Einzelfalles zumutbaren und möglichen Maßnahmen und Vorkehrungen zu treffen, die erforderlich sind, um die erstattungsfähigen Kosten möglichst niedrig zu halten (vgl LSG Darmstadt vom 26.8.2011 - L 7 SO 14/10, LSG Celle-Bremen vom 27.1.2011 - L 8 SO 85/08 = ZfF 2012, 272 und LSG Hamburg vom 3.12.2009 - L 4 SO 16/08).
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 23. März 2011 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.238,21 € zu zahlen.
Von den Kosten des Rechtsstreits des erstinstanzlichen Klageverfahrens trägt der Kläger 87 %, die Beklagte 13%. Die Kosten des Rechtsstreits des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
Tatbestand
Im Streit ist die Erstattung von Aufwendungen in Höhe von 1.238,21 € nebst Zinsen, die der Kläger B. und ihren drei minderjährigen Töchtern F. (geb. 1990), V.(geb. 1991) und M. (geb. 1994) in der Zeit vom 21. Oktober 2003 bis zum 31. Dezember 2004 als Sozialhilfe erbracht hat.
B. und ihre drei minderjährigen Töchter waren bis zu ihrem Umzug in den Zuständigkeitsbereich des Klägers zwischen dem 19. September 2003 und 22. September 2003 im Zuständigkeitsbereich der Beklagten wohnhaft. Nach ihrem Umzug wohnten sie zunächst bei einer Freundin in K., ab 01. November 2003 in einer eigenen Wohnung.
B. meldete sich am 20. September 2003 beim Einwohnermeldeamt in M. ab und am 01. November 2003 beim Einwohnermeldeamt der Stadt K. an. Sie meldete sich am 20. Oktober 2003 bei der Agentur für Arbeit K. arbeitslos. Ausweislich einer Bestätigung ihrer Freundin zog sie mit ihren Kindern am 22. September 2003 in deren Wohnung ein, die Kinder besuchten ab 24. September 2003 die Schule in K.
Auf ihren Antrag vom 21. Oktober 2003 erbrachte der Beklagte an B. und ihre Kinder, die über kein Vermögen verfügten und - neben Arbeitslosenhilfe für B. (Bewilligung für die Zeit ab 28. Oktober 2003, Auszahlung ab Dezember 2003) und Kindergeld - keine Einkünfte erzielten, ab 21. Oktober 2003 bis zum 31. Dezember 2004 unter Berücksichtigung des zugeflossenen Einkommens Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und zwar an B. insgesamt 148,73 € (nur für November 2003), an die Tochter F. 3.723,26 €, an die Tochter V. 2.830,25 € und die Tochter M. 2.876,26 €, mithin insgesamt 9.578,50 €. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Bl. 287/343 der Verwaltungsakten des Klägers Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 03. November 2003 zeigte der Kläger der Beklagten an, dass er seit 21. Oktober 2003 an B. und ihre Kinder Sozialhilfe in Form von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG erbringe, und machte einen Kostenerstattungsanspruch nach § 107 BSHG geltend (Eingang bei der Beklagten am 04. November 2013). Mit Schreiben vom 08. Juni 2004 bestätigte die Beklagte den Eingang des Kostenerstattungsbegehrens und bat um Übersendung verschiedener Unterlagen. Nachdem der Kläger diese übersandt hatte (vgl. Schreiben vom 21. September 2004), teilte die Beklagte mit Schreiben vom 13. Oktober 2004 mit, dass der Umzug von M. nach K. am 20. September 2003 erfolgt sei und eine Kostenerstattung nicht gewährt werden könne, weil der Hilfebedarf am Zuzugsort nicht innerhalb eines Monats entstanden sei. Auch nachdem der Kläger der Beklagten mitgeteilt hatte, dass der Umzug der B. erst am 22. September 2009 abgeschlossen gewesen sei (Schreiben vom 17. Oktober 2005), blieb die Beklagte bei ihrer Auffassung (Schreiben vom 13. Dezember 2005 und 26. April 2006). Weiterhin wies sie darauf hin, dass sich hinsichtlich der Leistungsbewilligung auch die Frage nach der Anrechnung von Unterhaltsleistungen bzw. Unterhaltsvorschüssen für die Kinder stelle.
Mit der am 18. Juli 2007 zum Sozialgericht F. (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin zunächst die Erstattung der Aufwendungen in Höhe von insgesamt 9.578,50 € zuzüglich Zinsen geltend gemacht. Nachdem sich die B...