Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren: Statthaftigkeit der Beschwerde gegen einen Beschluss über die Zurückweisung eines Befangenheitsantrags

 

Orientierungssatz

Gegen einen Beschluss, mit dem ein Ablehnungsgesuch gegen einen Richter am Sozialgericht zurückgewiesen wurde, ist die Beschwerde nicht statthaft (Anschluss LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 02. Juli 2012,  L 13 AS 2584/12 B).

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 30. April 2012 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Neuruppin vom 30. April 2012, mit dem ein Ablehnungsgesuch gegen eine Gerichtsperson (hier: Richterin) zurückgewiesen worden ist, ist bereits nicht statthaft (vgl LSG Baden-Württemberg 2.7.2012 - L 13 AS 2584/12 B).

Gem. § 172 Abs. 2 SGG in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung des SGG und des Arbeitsgerichtsgesetz vom 26. März 2008 (BGBl. I S. 444) können Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

Zutreffend hat bereits das LSG Baden-Württemberg (2.7.2012 - L 13 AS 2584/12 B) darauf hingewiesen, dass diese eindeutige Norm in ihrem Regelungsgehalt nicht dadurch in Zweifel gezogen wird, dass sie zunächst nur in Ausnahmekonstellationen gegenüber der vorausgehenden Rechtslage eine Änderung erbracht hat (vgl. hierzu Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 10. Auflage, § 172 SGG Rdnr. 6e) und erst durch das Vierte Gesetz zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I S. 3057) einen umfassenden Anwendungsbereich dadurch erhielt, dass nunmehr über Ablehnungsgesuche gegen Richter des SG ein anderer Richter desselben SG durch Beschluss (§ 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 46 Abs. 1 ZPO) entscheidet (§ 60 Abs. 1 SGG i.V.m. § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO).

Der Senat folgt ebenfalls der Auffassung des LSG Baden-Württemberg (aaO) dass auch die generelle Verweisung des § 60 Abs. 1 SGG auf die Vorschriften der ZPO zur Ausschließung und Ablehnung der Gerichtspersonen (1. Buch, 1. Abschnitt, 4. Titel der ZPO; §§ 41bis 49) und damit auch auf § 46 Abs. 2 ZPO, nach dem gegen den Beschluss, durch den das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt wird, die sofortige Beschwerde stattfindet, die Regelung des § 172 Abs. 2 SGG nicht zu verdrängen vermag (so aber LSG Nordrhein-Westfalen - L 11 KR 206/12 B, L 11 KR 299/12 B).

Nach Auffassung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen (a.a.O.) ist der Gesetzgeber fehlerhaft davon ausgegangen, dass § 172 Abs. 2 SGG gegenüber der Verweisung des § 60 Abs. 1 SGG auf § 46 Abs. 2 ZPO die speziellere Norm sei. Es sei deshalb der “objektivierte Wille„ des Gesetzgebers zu ermitteln, nach dem gegen den Beschluss, durch den das Ablehnungsgesuch für unbegründet erklärt wird, die sofortige Beschwerde stattfinde.

Das überzeugt nicht. Im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 4. Gesetz zur Änderung des SGB IV und anderer Gesetze (BR-Drs. 315/11, S. 40; BT-Drs. 17/6764, S. 27) heißt es: “Da § 46 ZPO für entsprechend anwendbar erklärt wird, ist die bisher in Satz 2 enthaltene Regelung entbehrlich. § 172 Abs. 2 SGG geht als speziellere Norm dem § 46 Abs. 2 ZPO vor, so dass weiterhin Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden können.„

An den darin eindeutig zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, dass Beschlüsse über die Ablehnung von Gerichtspersonen nicht mit der Beschwerde angefochten werden können, glaubt sich das LSG Nordrhein-Westfalen (a.a.O.) jedoch nicht gebunden und stützt dies darauf, dass der Gesetzgeber sich hier einer eindeutigen Entscheidung enthalten habe:

“Die Meinungsäußerung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Verfassungsorgane bzw. von Mitgliedern dieser Organe ist zwar zur Kenntnis zu nehmen, sie ist indes für die Auslegung der maßgebenden Vorschriften von nachrangiger Bedeutung. Motive, die in Gesetzentwürfen zum Ausdruck kommen und die in der Regel in Ministerien formuliert werden, können nicht kurzerhand jenen Personen untergeschoben werden, die den Gesetzbeschluss gefasst haben (Zippelius, Juristische Methodenlehre, 10. Auflage, 2006, S. 24). Es kommt ferner nicht darauf an, was der Gesetzgeber regeln wollte oder meint, geregelt zu haben, sondern auf den durch das Gericht im Wege der Auslegung zu ermittelnden Inhalt des Gesetzes selbst, den "objektivierten Willen des Gesetzgebers", in dessen Bestimmung die Motive des Gesetzgebers allenfalls sekundär einfließen können (hierzu Zippelius, a.a.O., S. 21 ff.; Kramer, Juristische Methodenlehre, 2. Auflage, 2005, S. 113 ff., 152 f.; vgl. auch Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 23.09.1999 - IV R 56/98 - ; Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 20.02.1964 - 8 RV 649/62 -).„

Anders als das LSG Nordrhein-Westfalen annimmt, ist vielmehr der Regelungswille des Gesetzgebers primäre Richtlinie der Norman...

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