Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialversicherungspflicht. Tätigkeit als Familientherapeutin im Rahmen der ambulanten Erziehungshilfe. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit. Abgrenzung

 

Orientierungssatz

1. Die Tätigkeit eines Familienhelfers kann sowohl in der Form einer abhängigen Beschäftigung als auch in der einer selbständigen Tätigkeit erbracht werden.

2. Ist dem Auftraggeber gegenüber dem Familienhelfer ein ausdrückliches Weisungsrecht hinsichtlich des therapeutischen Kernbereichs eingeräumt, ist der Helfer in dessen Arbeitsorganisation integriert, hat er ein eigenes unternehmerisches Risiko nicht zu tragen und erfolgt dessen Vergütung nach einem vereinbarten Stundensatz, so ist von dem Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung auszugehen.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 19. Juni 2015 wird aufgehoben.

Die Klagen werden abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Im Streit steht der sozialversicherungsrechtliche Status der Klägerin zu 1) in ihrer Tätigkeit als Familientherapeutin für die Klägerin zu 2) in der Zeit ab 1. August 2009.

Die Klägerin zu 2) ist ein anerkannter Träger der Kinder- und Jugendhilfe. Die Berliner Jugendämter beauftragen sie gemäß § 4 Sozialgesetzbuch Achtes Buch (SGB VIII) mit ambulanten Hilfen zur Erziehung und mit Eingliederungshilfen für behinderte junge Menschen. Im Streit sind hier Tätigkeiten der ambulanten Erziehungshilfe nach § 27 Abs. 3 SGB VIII. Sie schloss hierzu mit dem Land Berlin einen Trägervertrag ab (Leistungs-Entgelt- und Qualitäts-Entwicklungsvereinbarungen; Trägervertrag Nr. 1402/2007).

Durch Einzelfallverträge mit dem jeweils örtlich zuständigen Jugendamt verpflichtete bzw. verpflichtet sie sich zur Durchführung der Leistung im Einzelfall im Rahmen des Vertrages und zu den Bedingungen des Trägervertrages. Der Abschluss eines Einzelfallvertrages setzte die vorherige Feststellung des Anspruches und des Bedarfs im Rahmen des Hilfeplanverfahrens voraus.

Die Klägerin zu 2) bediente und bedient sich zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen überwiegend festangestellter Mitarbeiter. Ausschließlich die Familientherapie lässt sie durch freie Therapeuten durchführen. Das Team der Familientherapeutinnen trat unter dem Namen “D„ auf.

Das Prozedere stellte und stellt sich allgemein so dar: Ein pädagogisch-therapeutischer Bedarf ergibt sich aufgrund von Auffälligkeiten in der Familiensituation und im Verhalten des jeweiligen Kindes, die dem Jugendamt gemeldet werden, an das sich manche Familien auch direkt wenden. Erscheint dem Jugendamt nach dem Ergebnis seiner eigenen Aufklärungsbemühungen eine Familientherapie geboten und sind die Eltern damit einverstanden, diese Hilfe anzunehmen, bittet das Jugendamt einen möglichst nahe am Wohnort der Familie ansässigen Träger um die Übernahme dieser Therapie. Der Hilfeplan enthält lediglich die Problembeschreibung (Symptombeschreibung) die (möglicherweise unterschiedlichen) Ziele der beteiligten Personen der Familie, die für erforderlich und geeignet erhaltene Hilfeart - hier aufsuchende Familientherapie - und Absprachen oder ähnliches mit den Erziehungsberechtigten zur kontinuierlichen und verlässlichen Therapieteilnahme. Da die aufsuchende Familientherapie regelmäßig durch zwei Therapeuten durchgeführt wird, sucht sich jeder Therapeut seinen Co-Therapeuten selbst, wobei nicht unbedingt auf Honorarkräfte der Klägerin zu 2) zurückgegriffen wird.

Die Klägerin zu 1) ist Diplom-Pädagogin und Diplom-Psychologin. Sie hat eine Zusatzausbildung als Familientherapeutin in der systemischen Familientherapie absolviert. Als solche hat sie seit dem 1. Quartal 2009 Einkünfte und ist insoweit durchschnittlich einen halben Tag pro Woche tätig. Daneben arbeitet sie als Supervisorin und Dozentin im Umfang von etwa zwei Tagen in der Woche in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt des Landkreises O als Familientherapeutin.

Bei der Klägerin zu 2) war sie vom 1. August 2009 bis zum 31. Mai 2015 als Koordinatorin im Rahmen eines Angestelltenverhältnisses mit sechs Wochenstunden beschäftigt. Sie koordinierte die Auftragsvergabe an die Familientherapeuten.

Sie war ferner seit August 2009 auch als Familientherapeutin für die Klägerin zu 2) tätig. Die Klägerin zu 2) und sie schlossen hierzu am 27. Juli 2009 einen “Vertrag über freie Mitarbeit„. Sie betreute mit einem Co-Therapeuten im Auftrag der Klägerin zu 2) durchschnittlich etwa sechs Fälle als Familientherapeutin gleichzeitig.

Am 4. September 2009 stellten die Klägerinnen gemeinsam einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status. Die Klägerin zu 1) gab unter anderem an, Eigenakquise und eigene Werbung zu betreiben. Die Hilfeplanung erfolge durch das Jugendamt, dabei wirkten Hilfeempfänger und Leistungserbringer mit. Dies erfolge auf der Basis von Berichten, die von den Therapeuten übersandt würden.

Nach vorangegangener Anhörung stellte die Beklagte gegenüber den Klägerinnen mit Bescheid vom 1. März 2010 fest, dass die...

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